Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
schweren Atem. Plötzlich lächelte sie. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war; ihr war kalt, sie war bis auf die Knochen durchweicht, und sie hatte Angst, aber, bei Gott, sie war ihm entkommen!
Kapitel 3
N ell stand eine Weile unter den Zweigen einer Eiche, wartete, bis sie wieder zu Atem gekommen war, und überlegte sich ihren nächsten Schritt. Das Wüten des Sturmes hatte nicht nachgelassen, und sie wusste um die Gefahr, in der sie sich befand, wenn sie bei dem Gewitter unter einem hohen Baum stehen blieb.
Sie zog sich den Umhang über den Kopf, um sich vor dem Regen zu schützen, verließ den geschützten Platz und machte sich an die mühsame Aufgabe, einen Weg aus dem regennassen Wald zu finden. Es war nicht einfach. Sie fiel mehrere Male auf die Knie, rutschte auf den glitschigen Zweigen und Blättern unter ihren bloßen Füßen aus. Der Regen, die Blitze und das Donnern über ihr waren nicht hilfreich, ebenso wenig wie die völlige Schwärze der Nacht und der Wind, der heulend durch die Baumwipfel fuhr.
Die Zeit schien aufgehoben, und Nell verlor alles Gespür für die Richtung. Ab und zu, während sie sich durch die Nacht kämpfte, hatte sie das unheilvolle Gefühl, im Kreis zu gehen, sodass sie fürchten musste, Tynedale in die Arme zu laufen. Ihr anfängliches Hochgefühl darüber, ihm entkommen zu sein, war schon vor langer Zeit verflogen, und während die Minuten verstrichen und sie immer nasser und erschöpfter wurde, ihr Bein zu schmerzen begann und sie deswegen stärker hinkte, hoffte sie beinahe, wieder bei ihm zu landen. Aber nur beinahe.
Donner grollte über ihr, kurz darauf schlug ein Stück vor ihr der Blitz ein. Es war so nah, dass Nell zu Boden stürzte. Gleich darauf rappelte sie sich mühsam auf, benommen und erschüttert, aber unverletzt. Viel wichtiger jedoch war, dass der Blitzschlag die Umgebung einen Moment in gleißendes Licht gehüllt hatte, sodass vor ihrem ungläubigen Blick eine Hütte zu sehen war, die nur ein paar hundert Schritt entfernt war.
Hoffnung erfasste sie, halb stolperte, halb rannte sie zu dem Unterschlupf. Ein weiterer Blitz zeigte ihr, dass sie sich nicht geirrt hatte. Keuchend kämpfte sie sich bis zu dem kleinen Gebäude vor, das auf der Lichtung stand, ein paar Schritte außerhalb des Waldes.
Es war wirklich eine Hütte, und Erleichterung erfasste sie. Sie war in Sicherheit! Hilfe war nicht weit. Doch dann sank ihr Mut wieder, als ihr auffiel, dass dort kein willkommen heißendes Kerzenlicht hinter den winzigen Fenstern flackerte, kein Zeichen für menschliche Gegenwart, kein Geräusch, das auf die Nähe eines Menschen hinwies, auszumachen war. Sie unterdrückte ein Schluchzen und ließ sich gegen den hölzernen Türrahmen sinken; Enttäuschung durchbohrte sie wie ein Messerstich, als ihr klar wurde, dass das Haus verlassen war und leer stand.
Aber wenigstens bot es Schutz vor dem Wetter; sie nahm ihre letzte Kraft zusammen und stieß die Tür auf. Sie gab mühelos nach. Der nächste Blitz zeigte Nell, dass es im Inneren nichts zu stehlen oder plündern gab - außer einem verkratzten Holztisch, drei oder vier wackeligen Stühlen und einem Lager aus Binsen an der Wand.
Trotz des Unrats auf dem Boden, Blättern und Zweigen und wertlosen Hinterlassenschaften früherer Bewohner, wirkte das Innere auf Nell wie ein Palast, als sie eintrat und
den wütenden Sturm aussperrte. Einzig mit den Blitzen als Lichtquelle erkundete sie auf unsicheren Beinen ihr neues Domizil.
Die Hütte war klein, bestand aber immerhin aus zwei Räumen, dem vorderen mit dem Eingang und einem dahinter gelegenen. Darin gab es einen Kamin aus grob gehauenen Steinen und alten Reisigbündeln darauf, aber das nützte ihr nichts, da sie keine Möglichkeit hatte, Feuer zu machen.
Nachdem sie sich überall umgesehen hatte, schleppte sie sich zu einem der schmutzigen Fenster und spähte nach draußen. Durch den Regen konnte sie ein Stück Straße erkennen und schloss daraus, dass sie auf die verlassene Hütte eines Zollwärters gestoßen sein musste. Reisende hatten hier einmal Maut entrichten müssen, um diesen Teil der Straße benutzen zu dürfen, aber jetzt nicht mehr, und wohl auch schon seit einiger Zeit nicht, wenn man von dem Zustand der Hütte her schließen konnte.
Im Moment war Nell das alles egal, sie war einfach dankbar, dem Unwetter und Tynedale entkommen zu sein. Zerschlagen und erschöpft, zu müde, um weiter als bis zur nächsten Sekunde zu denken, schlang sie ihren Umhang um sich
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