So gut wie tot
Gibt es Angehörige, mit denen wir sprechen können?«, wollte Grace wissen.
»Ich arbeite dran«, sagte Potting. »Ihre Eltern sind tot. Keine Geschwister. Ich versuche herauszufinden, ob es weitere Verwandte gibt.«
Grace warf einen Blick auf seine Stellvertreterin Lizzie Mantle. »Na gut, wenn es keine unmittelbaren Angehörigen gibt, konzentrieren wir uns auf Freunde und Bekannte der Wilsons. Norman und Glenn kümmern sich darum. Bella, Sie nehmen über die amerikanische Botschaft Kontakt zum FBI auf und erkundigen sich, ob eine Joanna Wilson in den neunziger Jahren in die USA eingereist ist. Falls sie dort arbeiten wollte, benötigte sie ein Visum. Das FBI soll bitte in sämtlichen Unterlagen und Datenbanken prüfen, ob sie während dieses Zeitraums dort gewohnt hat.«
»Haben wir eine Kontaktperson in der Botschaft?«
»Ja, ich kenne Brad Garretts im Büro des Rechtsattachés. Er wird Ihnen helfen. Sollte es Probleme geben, habe ich zwei Freunde bei der Staatsanwaltschaft in New York. Eigentlich wäre es klüger, sich sofort an sie zu wenden. Damit ersparen wir uns viele Umwege. Wenn wir gerichtstaugliche Beweise benötigen, können wir immer noch den offiziellen Weg gehen.« Er überlegte kurz. »Ich spreche mit Brad.«
Dann wandte er sich an DC Nicholas. »Nick, ich möchte, dass Sie eine landesweite Suche nach Ronnie Wilson einleiten. Wenn nötig, auch grenzüberschreitend.«
Der junge Ermittler nickte. Wie üblich wirkte er blass und erschöpft. Zweifellos hatte er eine weitere Nacht hinter sich, in der er die Freuden des Vaterseins genießen durfte.
Grace wandte sich wieder an Lizzie Mantle. »Möchten Sie etwas hinzufügen?«
»Ich denke gerade über diesen Ronnie Wilson nach«, sagte sie. »Zu diesem Zeitpunkt dürfte er der Hauptverdächtige sein.«
Grace nahm den Kaugummi aus dem Mund und warf ihn in den Papierkorb. »Ganz Ihrer Meinung. Aber wir müssen mehr über ihn und seine Frau herausfinden, ihr gemeinsames Leben. Ein Motiv finden. Hatte er eine Geliebte? Wir sollten mögliche Gründe eliminieren.«
»Wenn man erst das Unmögliche ausgeschlossen hat, ist das, was übrig bleibt, so unwahrscheinlich es auch sein mag, die Wahrheit«, warf Norman Potting ein.
Kurze Stille. Potting wirkte ungeheuer selbstzufrieden.
»Sherlock Holmes. Sehr schön, Norman. Sie dürften einander noch persönlich gekannt haben.«
Grace warf Bella einen warnenden Blick zu, doch sie zuckte nur die Achseln.
Dann wandte er sich an Emma-Jane Boutwood. »E-J, ich möchte, dass Sie sich um den Stammbaum der Wilsons kümmern.«
»Eigentlich hätte ich noch etwas zu berichten«, sagte Norman Potting. »Ich habe meine Hausaufgaben in der Datenbank gemacht. Ronnie Wilson war mehrfach vorbestraft. Zum ersten Mal wurde er 1987 aktenkundig. Damals arbeitete er für eine zwielichtige Gebrauchtwagenhandlung, die Tachostände fälschte und Wagen mit Totalschaden notdürftig zusammenschraubte und teuer verkaufte.«
»Was wurde daraus?«
»Zwölf B. Dann tauchte er wieder aus der Versenkung auf.«
Bella Moy unterbrach ihn. »Entschuldigung, sagten Sie zwölf 5?«
»Ja, meine Schöne. Zwölf Monate auf Bewährung.«
»Könnten Sie sich vielleicht einer Sprache bedienen, die wir alle verstehen?«
Potting zwinkerte. »Ich dachte, wir alle kennen uns in diesem Slang aus. So reden die Ganoven eben.«
»Ja, vielleicht in Filmen aus den fünfziger Jahren. Das ist Ihre Ganovengeneration.«
»Bella«, warnte Grace sie mit leiser Stimme.
Sie zuckte die Achseln und sagte nichts mehr.
»1991 wanderte Terry Biglow für vier Jahre in den Knast«, fuhr Norman Potting fort. »Hat alte Ladys ausgenommen.« Er schaute Bella an. »Können Sie mir folgen?«
»Durchaus.«
»Sehr schön. Ronnie Wilson hat für ihn gearbeitet. Wurde als Komplize angeklagt, aber ein schlauer Anwalt hat ihn mit einem Verfahrensfehler freibekommen. Ich habe mit Dave Gaylor gesprochen, der den Fall damals bearbeitet hat.«
»Wilson hat für Terry Biglow gearbeitet?«, fragte Grace nach.
Alle im Raum kannten den Namen. Es war eine der traditionellen Verbrecherfamilien Brightons. Drei Generationen, die sich mit Drogenhandel, Antiquitätendiebstahl, Callgirls und Zeugeneinschüchterung beschäftigten und nichts als Ärger machten.
Grace schaute DI Mantle an. »Sieht ganz danach aus, als könnten Sie recht haben, Lizzie. Jedenfalls haben wir genug in der Hand, um einen Verdächtigen bekannt zu geben.«
Das würde Alison Vosper gefallen, dachte er bei sich.
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