So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
ihre Kinder hatten etwas dazugegeben. Und als sie zurückkehrten, waren sie überglücklich. Vielleicht ja doch ein Grund, sich auch mal nach Mekka aufzumachen. Noch schwanke ich. Mal abwarten, was die Zukunft bringt.
7.
Think Pink!
»Duuuu … spreeechen … Deuuutsch?« Die Kindergärtnerin, eine Frau jenseits der vierzig, ließ sich Zeit mit ihrer Frage. Sie beugte sich etwas in meine Richtung vor, bewegte die Lippen wie in Zeitlupe, zog Wort für Wort in die Länge, machte nach jedem eine Pause, die eine unausgesprochene Frage zu enthalten schien. Und dabei lächelte sie mich die ganze Zeit an, als wäre ich ein bedauernswertes Geschöpf. Obwohl ich direkt vor ihr stand, brauchte ich einige Sekunden, um die Situation zu begreifen. Irgendwie hatte ich eine lange Leitung. Dann plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Sie meinte mich!
Ich wette, die Kindergärtnerin dachte sich nichts dabei. Diese Frau kannte mich nicht. Sie sah mich zum ersten Mal. Ich hatte die kleine Sarah noch nie bei ihr abgeholt. Wahrscheinlich fand sie sich in diesem Moment sogar besonders höflich. Dabei hatte sie mich mit ihrer Frage und vor allem mit der Art, wie sie sie mir stellte, schlicht und ergreifend verletzt, abgestempelt - ja, diskriminiert.
Ich übertreibe? Mag sein. Vielleicht bin ich da besonders empfindlich. Aber wer das denkt, denkt nicht wie ich. Der ist kein Migrant, steckt nicht in meiner Haut, hat so
etwas noch nie am eigenen Leib erfahren. Der kennt einfach das Gefühl nicht, das einen in solchen Situationen beschleicht. Ob man will oder nicht, man kommt dagegen nicht an. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, anders zu sein, weniger wert, als Mensch und überhaupt.
Ja, ich bin Türkin! Ganz gleich, ob ich einen deutschen Pass besitze oder nicht. Von mir aus nennt mich Migrantin oder auch Ausländerin - das seid ihr ja selbst, sobald ihr in einem anderen Land seid -, aber behandelt mich nicht, als sei ich blöd!
Dieser kleine Vorfall ereignete sich, als ich so um die sechzehn war - und nicht halb so schlagfertig wie heute, sonst hätte ich zu reagieren gewusst. Damals schluckte ich nur, tat so, als sei nichts geschehen, antwortete brav - und akzentfrei: »Ja, ich spreche Deutsch.« Dann nahm ich Sarah, setzte sie in ihren Kinderwagen und machte mich auf den Weg. Zehn Minuten zu Fuß entfernt befand sich ein Hort für Schulkinder, in dem wir ihren Bruder Matthias abholten. Von dort ging es zu ihnen nach Hause, auch zu Fuß, keine Riesenstrecke, für Kinder aber auch keine ungefährliche, quer durch Berlin-Mitte. Die Mutter der beiden, eine Deutsche, Ärztin und alleinerziehend, hatte mir die Schlüssel für ihre Wohnung anvertraut. Ich war ihre Kindersitterin. An den zwei Tagen in der Woche, an denen ich Sarah und Matthias betreute, kam sie frühestens gegen siebzehn Uhr nach Hause, manchmal auch erst gegen neunzehn Uhr. Solange blieb ich dort, versorgte die Kleinen und spielte mit ihnen.
Warum ich das so ausführlich schildere? Weil zum einen die Begegnung mit der Kindergärtnerin zeigt, wie ich als Migrantenkind von vielen wahrgenommen werde. Und
zum anderen mein kleiner Nebenjob, den ich bis vor einigen Wochen fast zwei Jahre lang gemacht habe, beschreibt, wie ich wirklich bin und wie ich deshalb auch gern gesehen werden möchte. Man kann mir Schlüssel für seine Wohnung anvertrauen, ohne dass ich sie von meinem schwerkriminellen Bruder (der ja gar nicht kriminell ist) und seinen Kumpanen ausräumen lasse. Selbst zwei kleine Kinder waren bei mir gut aufgehoben. Ich tat alles, damit es ihnen in meiner Obhut gut ging und ihnen nichts zustieß. Ich bin also ein ganz normales Mädchen, vielleicht manchmal ein bisschen chaotisch, aber ansonsten ehrlich, verantwortungsbewusst, zuverlässig. Zufällig sind das dieselben Eigenschaften, die gern benutzt werden, wenn von den berühmten Tugenden der Deutschen gesprochen wird.
Ich sollte wohl langsam wieder runterkommen. Bin gerade ziemlich geladen. Das Thema ist aber auch eine heikle Kiste, da kann ich mich schnell drüber aufregen. Wenn ich mit Sarah unterwegs war, sind mir ein paarmal solche Sachen widerfahren. Gegenüber ihrem Kindergarten befindet sich ein Spielplatz, da mussten wir immer dran vorbei. Einmal standen ein paar junge Frauen davor und redeten, deutsche, alle schätzungsweise Mitte zwanzig, eine hatte einen Hund dabei. Mir fiel gleich auf, dass sie mich beobachteten. Und kaum waren wir ein paar Schritte von ihnen entfernt, riefen sie mir hinterher:
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