Söhne der Erde 09 - Die letzten Marsianer
einfach zur Seite. Der Lautsprecher quarrte immer noch. Mit einer wilden Bewegung fegte ihn Lara vom Tisch, durchwühlte ein paar Fächer, brachte etwas zum Vorschein, das wie ein aufgerolltes weißes Plastikband aussah. Charru fragte nicht, was es war und wozu es diente. Er rannte zur Tür, spähte hinaus und atmete auf, als er den leeren, von den Scheinwerfern grell beleuchteten Platz sah.
Lara glitt neben ihn, das erbeutete Lasergewehr fest umklammert.
Charru lauschte, konzentrierte sich einen Herzschlag lang mit allen Sinnen. Stimmen, Schritte, Geschrei! Zwischen den Hütten herrschte Dunkelheit, nirgends flammte der unheilvolle Widerschein der Feuerstrahlen. Noch war Hunon nicht entdeckt worden, hatte auch nicht einzugreifen brauchen. Die Wachmänner kommandierten die willenlosen Drogen-Opfer herum und suchten nach den Eindringlingen, die sie in der Gegend des Maisfeldes vermuteten. Charru packte Laras Arm, zog sie hinter sich her, und im nächsten Moment schwangen sie sich in den verlassenen Universitäts-Jet.
Charru hatte die Waffe auf den Rücksitz geworfen.
Steil zog er das Fahrzeug hoch und ließ es über die Wipfel der Obstbäume steigen. Der Zaun glitt unter ihnen hinweg - und in der gleichen Sekunde stieß Lara einen erstickten Schrei aus.
Hinter ihnen zuckten drei, vier Flammenstrahlen aus der Finsternis und tasteten nach ihnen wie mit roten, tödlichen Geisterfingern.
*
Dayel lehnte an der Wand, ohne die geschlossene Tür aus den Augen zu lassen.
Er wußte, daß nicht allzuviel Zeit vergangen war, auch wenn für ihn die Minuten langsam dahinkrochen. Einmal war Cori gekommen, hatte ihm schweigend und schüchtern etwas zu Trinken gebracht und sich rasch wieder zurückgezogen. Dayel wußte, daß sie das eigentlich nicht hätte tun sollen. Er hielt hier Wache. Wachtposten wurden nicht gestört, das war ungeschriebenes Gesetz. Und bei ihm hielten sich die anderen besonders strikt daran.
Weil niemand etwas mit ihm zu tun haben wollte, hatte er zuerst geglaubt.
Aber vielleicht war es auch ganz anders, vielleicht wollten sie nur vermeiden; daß er glaubte, sie trauten ihm nicht wirklich und wollten ihn kontrollieren. Schließlich hatte er sich klargemacht, wie unsinnig es war zu erwarten, daß sich überhaupt jemand über etwas anderes als die gespannte, bedrohliche Situation den Kopf zerbrach. Dayel grübelte nicht länger darüber nach. Auch seine Gedanken beschäftigten sich mit der Armee dort draußen, mit dem wartenden Schiff, und ganz allmählich begannen sich diese Gedanken aus den Fesseln der Furcht zu lösen, weil sie aufhörten, ausschließlich um seine eigene Person zu kreisen.
Der junge Akolyth straffte sich, als er die Geräusche am Ende des Flurs hörte.
Geflüster.
Ein leises Scharren, sekundenlange Stille, dann ein ersticktes Stöhnen. Dayel fuhr zusammen. Jäh wurde er sich wieder der Fremdartigkeit der goldfarbenen Gänge bewußt und der Tatsache, daß er ganz allein war. Unsicher tastete seine Hand nach dem ungewohnten Schwertgriff. Ein kaltes Prickeln nistete in seinem Nacken, und gleichzeitig bäumte sich etwas in ihm gegen die erwachende Furcht auf.
Seine Finger schlossen sich fest um den Schwertgriff.
Er wollte es nicht ziehen; er hatte nicht einmal eine blasse Vorstellung davon, wer da gestöhnt haben konnte und warum. ,Dayel machte die Geste, die er hundertmal bei anderen gesehen hatte; ohne sie bewußt wahrzunehmen: er vergewisserte sich, daß er kämpfen konnte, wenn es nötig war.
Als er auf die Biegung des Tunnels zuging, schoß ihm die Vermutung durch den Kopf, daß sich vielleicht eins der Kinder in dem Labyrinth verirrt hatte.
Vorsichtig spähte er um die Ecke- und zuckte zusammen, als er die Gestalt in der langen Robe erkannte.
Lyrrios!
Einer der älteren Akolythen: blaßgesichtig, unauffällig, eine jener Marionetten, die man kaum wahrnahm, auch wenn man sie ein Leben lang kannte. Dayel starrte ihn an. Wollte Lyrrios mit ihm sprechen? Hatte er aufgehört, ein Schatten zu sein, der immer irgendwo in der Nähe der anderen Priester herumstrich, nie redete, kaum zuhörte und alles tat, was man ihm sagte?
Die Augen in dem blassen Gesicht waren leer.
»Du mußt mir helfen«, sagte er.
Aber er sagte es ausdruckslos, mechanisch, ohne daß sich etwas in seinen Zügen veränderte. Dayel hatte einen Schritt nach vorn gemacht - jetzt begriff er, daß es eine Falle sein mußte.
Zu spät!
Als er herumwirbelte, hörte er bereits das Surren einer Tür. Von einer
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