Söhne der Rosen - Die rätselhaften Zwillinge (Gay Phantasy) (German Edition)
überhaupt auf der Welt. Daxx und ich sind wie eine Person. Er ist cool.“
Bingo. Sinh konnte nicht der Richtige sein. Wie sollte ich ihn dazu bringen, Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, von seinem Bruder getrennt hier allein zu verbringen? Das konnte unmöglich funktionieren. Hier lief etwas grundlegend falsch. Frustriert drückte ich meine Zigarette aus und nahm einen weiteren Schluck Wein. Ein Donner zerriss die bedrückende Stille, gefolgt von ersten Regentropfen, die im Zwielicht einen leisen Stepptanz auf den Fenstern vollführten.
„Von wem ist das?“, fragte Sinh unvermittelt. Ich blickte auf und wusste nicht, was er meinte.
„Was denn?“
„Das Bild da hinten.“
Er deutete auf das Acrylbild, das ich vor Jahren gemalt und über dem Kamin aufgehängt hatte. Irgendwann hatte ich einen Haufen Farben und mehrere Sätze Pinsel und bereits bespannte Leinwände entdeckt. Wie vermutlich jedes Kind auf dieser Welt hatte ich gern gezeichnet, aber im Gegensatz zu den meisten Kindern hatte ich auch noch gern gezeichnet, als die anderen für sich Football, Clicken oder Drogen entdeckt hatten. Ich tat es kontinuierlich, wenngleich auch ohne den nötigen Fanatismus, um es dadurch zu etwas zu bringen.
„Ich habe es gezeichnet.“
Sinh blickte mich scharf von der Seite an.
„Das hast du nicht.“
„Was soll das heißen? Natürlich habe ich das.“
Sinh stand mit seinem Weinglas in der Hand auf und schritt langsam auf das Bild zu.
„Wenn überhaupt, hast du es gemalt, G-Man. Mit Bleistift, Kohle oder Kreide kann man zeichnen. Mit Öl, Acryl, Aquarell oder anderen flüssigen Farben malt man.“
Auf halbem Weg drehte er sich zu mir um.
„Ist es wirklich von dir?“
„Ja.“
Sinh ging weiter auf das Bild zu. Ein leichter Funke Hoffnung keimte in mir auf, also folgte ich ihm, bis wir beide vor dem Gemälde stehen blieben. Er betrachtete jedes Detail des Bildes sehr genau; dann fuhr er mit den Fingerspitzen über die Struktur der Farbe, als ob sie ihm durch bloße Berührung Aufschluss über den Künstler geben könne. Dann machte er wieder zwei Schritte zu mir zurück und betrachtete es erneut in seiner Gesamtheit.
„Wer ist das?“
„Das ist Alain, ein Freund von mir.“
„Kommt mir irgendwie bekannt vor. Du hast es unten im Garten gemalt, richtig?“
„Eigentlich nicht. Ich habe Skizzen im Garten gemacht, aber gemalt habe ich es in meinem Zimmer.“
Das war keine Lüge. Alain hatte ich aus dem Kopf portraitiert, da ich kein Foto von ihm besaß. Für den Hintergrund hatte ich tatsächlich Entwürfe im Garten gemacht.
„Sieht gut aus.“
„Danke“, antwortete ich leise und dachte über die Doppeldeutigkeit seiner Aussage nach. Was er wohl zu dem Kunstwerk in der Eingangshalle sagen würde?
„Das ist wirklich eine Gabe Gottes.“
„Nein, das ist es nicht!“
Erschrocken blickte Sinh mich an. Ein Blitz erhellte sein Gesicht und ließ es blass aussehen.
„Wie meinst du das?“
„Gott hat damit überhaupt nichts zu tun. Das, was du vor dir siehst, ist das Ergebnis vieler Jahre Übung und Arbeit. Jeder kann Farbe auf einen Untergrund bringen, aber es gezielt zu tun, erfordert eine Menge Training und manchmal auch Opfer, auch wenn es sich dabei nur um Zeit handelt.“
Sinh sah mich nach wie vor erstaunt an. Vermutlich hatte ich mich im Tonfall vergriffen, oder aber ich hatte unfreiwillig an seinem religiösen Glauben gekratzt.
„Wenn Gott mir wirklich eine Gabe verliehen hat, dann war es die, durchzuhalten und Zeit für die Übung aufzubringen, statt für andere Dinge.“
Donnergrollen.
„Du bist wirklich gut. Der Typ auf dem Bild sieht echt realistisch aus. Du hast sehr viel Gelb benutzt, richtig?“
Typ.
„Stimmt, Gelb und Ocker. Ich wollte eine Nachmittagsstimmung erzeugen.“
„Ist dir gelungen, Mann. Hast du noch mehr Bilder?“
„Wenn du sie sehen willst?“
„Klar.“
Die Luft in meinem Zimmer war bei weitem nicht so kühl wie die in der Bibliothek, obwohl das Fenster einen Spalt weit offen stand, aber sie war angefüllt von einer Mischung aus Ozon und dem Geruch der unten im Garten blühenden Rosen, die durch den Regen zu neuen Kräften kamen.
„Hier in der Ecke stehen noch ein paar Keilrahmen und hier habe ich noch eine Mappe mit Entwürfen.“
Ich kniete mich hin, um die Mappe unter dem Bett hervorzuziehen. Eigentlich war es unnötig, sie dort aufzuheben, schließlich hatte ich genügend Platz in der Villa, aber mit alten
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