Sohn Der Nacht
eingerahmt wurde. Er hatte diese Frau schon vorher gesehen und vor nicht allzu langer Zeit. Er versuchte sich vorzustel len, wo, aber er kam nicht drauf. Er hatte eine Reihe von Zanes Opfern gesehen. Könnte diese eines davon gewesen sein? Er stellte sich das Gesicht im Tode erstarrt vor, und dann hielt er inne, als er den dunklen, unwillkürlichen Ruf des Tötens verspürte. Nein, dies war keines von Zanes Opfern, da war er sicher.
Merrick blätterte weiter, bis er ein anderes Gesicht er kannte. Zu diesem wußte er auch einen Namen - Sheila For rester, die tote Frau an der Kathedrale. Ihr Kopf war leicht abgewandt gezeichnet, die Augen blickten in die Ferne, auf den Lippen ein sanftes Lächeln. Das Skizzenbuch schien plötzlich in Merricks Fingern zu brennen, als er bemerkte, daß sein Instinkt richtig gewesen und dies eine Galerie von Zanes Opfern war. Er zeichnete sie, bevor er sie tötete, dieses Ritual gehörte für ihn offenbar zum Jagdfieber.
Angewidert hätte Merrick das Büchlein fast wieder in den Schreibtisch zurückgeschoben; doch dann sah er sich auch noch die letzte Zeichnung an. Sie war noch nicht beendet,
aber er brauchte nur eine Sekunde, um die Augen wieder zuerkennen. Katie! Mit einem Schlag war er alarmiert. Obwohl ihr Haar noch kaum richtig eingezeichnet und der Mund nicht mehr als eine Linie war, hatte Zane sie bereits erfaßt. Rasend vor Wut riß Merrick die Zeichnung aus dem Block und zerriß sie zu kleinen Schnipseln. Du kannst sie nicht haben, dachte er - nicht einmal auf dem Papier. Wenn du durch diese Tür gehst, sind deine Tage des Mordens vor über.
Merrick legte das Büchlein in die Schublade zurück und ging wieder in die Position, die er sich ausgesucht hatte. Als er jetzt den Hammer wieder zur Hand nahm, fühlte er sich leicht an. Jetzt bin ich bereit, dich zu töten! dachte er. Er hatte hier nach seinem Sohn gesehen. Sein Sohn war tot, war schon seit fast fünfhundert Jahren tot, und er wollte nichts mehr von dem Ding wissen, das seinen Platz eingenommen hatte.
Zane schob sich im Schrittempo durch den Berufsverkehr und hielt Ausschau nach einem guten Ort zum Töten. Er merkte, daß er grinste, und wollte damit aufhören, konnte es aber nicht. Er hatte gar nicht gewußt, daß es möglich war, ein solches Gefühl der Begeisterung zu empfinden; es schwoll in seinem Innern an und sorgte dafür, daß er sich wundervoll neu und frisch vorkam. Heute morgen in Jennys Zimmer, als ihm über jeden Zweifel erhaben klar wurde, daß sie seine Tochter war, hatte er gespürt, wie er aus der alten Schale gestiegen war, die einst Zane gewesen war.
Ich bin ein neuer Mann, dachte Zane. Ich bin ein Vater!
Er blickte hinüber zu den Bürgersteigen der Pennsylvania Avenue. Sieh nur all diese saftigen Normalen, wie sie Prärie hunden gleich in ganzen Horden aus den U-Bahn-Schächten
auftauchen oder aus den Bussen klettern und ihre Aktentaschen in einer freudlosen wilden Hatz zur Arbeitsstelle mit sich schleppen...
Horden in wilder Hatz, die sich in wenigen Minuten auf gelöst haben würden. Er sollte am besten recht bald einen geeigneten Ort finden. Seine Tochter brauchte Blut. Als Vater hatte er gewisse Verpflichtungen.
Natürlich hätte er angesichts all der vielen Frauen, denen er zum Alptraum geworden war, schon früher Vater werden können, viele Male. Aber früher hatte er es nie gewußt.
Zane schüttelte unbewußt den Kopf. Wie seltsam es doch anmutete, das eigene Leben zu überdenken, aber auf einmal fand er es ausgesprochen reizvoll. Nie hatte er eine Frau getö tet, nachdem er mit ihr geschlafen hatte, aber ebensowenig war er Jahre später zu einer zurückgegangen wie jetzt zu Ann. Von Zeit zu Zeit mochte ihm der Gedanke an Kinder gekommen sein, aber warum sich darüber Sorgen machen, wo es die gene tischen Gegebenheiten ja selbst bei einem Sauger unwahr scheinlich machten, daß er einen Sauger zeugen würde.
Aber ich habe einen gezeugt! Jenny ist nicht nur mein, sie ist von meiner Art.
Zanes Traumbilder zerstoben, als er einen kleinen, von Bäumen eingefaßten freien Platz entdeckte, der sich an einen Gebäudekomplex schmiegte. Für sein Vorhaben ein geeigne tes Plätzchen. Den Wagen parkte er in einer Gasse auf der anderen Straßenseite. Als er die Straße überquerte, stellte er fest, daß der kleine Platz sogar noch besser geeignet war, als er gehofft hatte. Ein gepflasterter Pfad bildete eine diagonale Abkürzung quer über den Block und führte direkt durch ein kleines Gehölz.
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