Solange am Himmel Sterne stehen
das »Geschlossen«-Schild an der Ladentür um. Sie sah, wie Kay Sullivan und Barbara Koontz draußen stehen blieben und sie seltsam ansahen, aber sie zeigte nur auf Josephine, die schwer keuchte, das Gesicht gerötet und glänzend, und sie verstanden. Aber sie boten keine Hilfe an; sie wandten nur den Blick ab und eilten weiter.
» Chérie , es wird alles gut werden«, sagte Rose, zog sich neben ihrer Tochter einen Stuhl heran und legte ihr eine Hand aufs Knie. »Dein Vater wird gleich hier sein.« Sie wünschte, sie könnte mehr tun, ihrer Tochter mehr Trost spenden. Aber es hatte jahrelang eine Kluft zwischen ihnen gegeben, die allein Roses Verschulden war. Sie hatte nicht gewusst, wie sie die Kälte ihres eigenen Herzens überwinden sollte, um ihre Tochter zu erreichen.
Josephine nickte schwer keuchend. »Ich habe Angst, Mom«, sagte sie.
Rose hatte auch Angst. Aber das durfte sie nicht zugeben. »Es wird alles gut werden, Liebes«, sagte sie. »Du wirst ein glückliches, gesundes Baby bekommen. Es wird alles gut werden.«
Und dann sagte Rose etwas, von dem sie wusste, dass sie es bereuen würde, aber es musste dennoch gesagt werden. »Meine liebe Josephine«, sagte sie, »du musst es dem Vater des Babys sagen.«
Josephine riss den Kopf hoch und sah ihre Mutter mit zornig lodernden Augen an. »Das geht dich gar nichts an, Mom.«
Rose holte einmal tief Luft, stellte sich das Leben ohne Vater vor, das dieses Kind haben würde, und konnte es nicht ertragen. »Liebes, dein Kind braucht einen Vater. Genau wie du. Denk bloß, wie wichtig dir dein Vater immer war.«
Ihre Tochter funkelte sie an. »Auf gar keinen Fall, Mom. Er ist nicht so wie Dad. Er will nichts mit diesem Baby zu tun haben.«
Rose ging ein Stich durchs Herz. Sie legte ihrer Tochter eine Hand auf den Bauch. »Du hast ihm doch nie gesagt, dass du schwanger bist«, sagte sie leise. »Vielleicht würde er anders empfinden, wenn er es wüsste.«
»Du hast doch keine Ahnung, wovon du redest«, sagte Josephine. Sie hielt einen Moment inne und krümmte sich, während eine neue Wehe ihre zarte Gestalt schmerzhaft durchzuckte. Sie richtete sich auf, das Gesicht gerötet und verkniffen. »Du weißt doch nicht einmal, wer er ist. Er hat mich sitzen lassen.«
Roses Augen füllten sich unversehens mit Tränen, und sie musste den Blick abwenden. Das hier war ihre Schuld, und sie wusste es. Sie hatte sich so bemüht, ihrer Tochter alle möglichen Dinge zu vermitteln, all die Lektionen, an die sie sich von ihrer eigenen Mutter zu erinnern versuchte, und doch war es ihr im Grunde nur gelungen, Kälte zu vermitteln, oder? Ihr Herz hatte einfach aufgehört zu existieren an jenem düsteren, leeren Tag im Jahr 1949, als Ted nach Hause gekommen war, um ihr zu sagen, dass Jacob gestorben war. Josephine war damals noch ein kleines Mädchen gewesen, zu jung, um zu begreifen, dass sie damals ihre Mutter verloren hatte.
Und jetzt, begriff Rose, hatte sie auch noch bei dem versagt, was das Wichtigste überhaupt war. Sie hatte eine Tochter großgezogen, die ebenso verschlossen und kalt war wie sie selbst.
»Du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert, der dich liebt, der das Baby liebt«, flüsterte Rose. »So, wie dein Vater mich und dich geliebt hat.«
Josephine sah ihre Mutter scharf an. »Mom, wir leben nicht mehr in den Vierzigerjahren. Ich komme sehr gut allein zurecht. Ich brauche niemanden.«
Dann setzte wieder eine Wehe ein, und auf einmal klopfte Ted an die Ladentür, mit zerknautschtem Hemd und schiefer Krawatte. Rose stand auf und ging durch den Laden, um ihn hereinzulassen. Er gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange und grinste sie an. »Wir werden Großeltern!«, sagte er. Dann ging er hinüber zu Josephine, kniete sich vor sie hin und flüsterte: »Ich bin ja so stolz auf dich, Schatz. Wir bringen dich jetzt ins Krankenhaus. Halt nur noch ein bisschen durch.«
Josephine hatte eine schnelle Geburt, und obwohl das Baby einen Monat zu früh zur Welt kam, berichtete ihnen der Arzt, als er herauskam, es sei ein gesundes Mädchen, wenn auch ein bisschen untergewichtig, und bald bereit, seine Großeltern kennenzulernen. Rose und Ted sahen im Warteraum zu, wie die Minuten verstrichen, und während Ted auf und ab ging, schloss Rose die Augen und betete. Sie betete, dieses Kind, das heute, an diesem, ihrem eigenen fünfzigsten Geburtstag, geboren worden war, möge nicht so kalt werden wie sie selbst oder so kalt, wie sie ihre eigene Tochter erzogen hatte.
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