Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
Vom Netzwerk:
nickt. Sie schnappt sich ihren Rucksack und kommt durch die Küche, um mir einen raschen, unerwarteten Kuss auf die Wange zu geben. »Ich habe dich lieb, Mom.«
    »Ich dich auch, Schatz. Bist du sicher, dass alles okay ist?«
    » Ja , Mom.« Ihr gereizter Ton ist wieder da, und sie verdreht die Augen.
    Sie ist fort, bevor ich noch etwas sagen kann.
    An diesem Abend besuche ich Mamie, nachdem ich die Bäckerei zugesperrt habe. Auf der Fahrt zu ihr rumort in meinem Inneren eine Mischung aus Beklommenheit, Traurigkeit und Angst, die ich nicht ganz begreifen kann. Binnen eines Jahres bin ich zur geschiedenen Besitzerin einer schlecht laufenden Bäckerei geworden, die von ihrer Tochter gehasst wird. Jetzt könnte ich auch noch jüdisch sein. Es ist, als ob ich nicht mehr weiß, wer ich bin.
    Meine Großmutter sitzt am Fenster und starrt nach Osten hinaus, als ich die Tür öffne und eintrete.
    »Oh, Liebes!«, sagt sie, während sie sich umdreht. »Ich habe dich gar nicht klopfen hören!«
    »Hi, Mamie«, begrüße ich sie. Ich durchquere das Zimmer, küsse sie auf die Wange und setze mich neben sie. »Weißt du, wer ich bin?«, frage ich zögernd, denn der Verlauf dieses Gesprächs wird davon abhängen, wie klar im Kopf sie ist.
    Sie blinzelt. »Natürlich, Liebes«, sagt sie. »Du bist meine Enkelin. Hope.«
    Ich seufze erleichtert auf. »So ist es.«
    »Das ist eine dumme Frage«, sagt sie.
    Ich seufze. »Du hast recht. Dumme Frage.«
    »Und, wie geht es dir, Liebes?«
    »Danke, gut«, sage ich. Ich überlege, wie ich die Dinge, die ich wissen muss, zur Sprache bringen soll. »Ich habe über das nachgedacht, was du mir an dem Abend neulich erzählt hast, und ich habe da noch ein paar Fragen.«
    »An dem Abend neulich?«, fragt Mamie. Sie neigt seitlich den Kopf und starrt mich an.
    »Über deine Familie«, sage ich sanft.
    Irgendetwas flackert in ihren Augen auf, und ihre knotigen Finger sind auf einmal in Bewegung und kneten die Troddeln an den Enden ihres Schals.
    »An dem Abend neulich am Strand«, fahre ich fort.
    Sie starrt mich an. »Wir waren nicht am Strand. Es ist Herbst.«
    Ich hole einmal tief Luft. »Du hast Annie und mich gebeten, mit dir an den Strand zu fahren. Du hast uns ein paar Dinge erzählt.«
    Mamie blickt noch verwirrter. »Annie?«
    »Meine Tochter«, erinnere ich sie. »Deine Urenkelin.«
    »Ich weiß doch, wer Annie ist!«, fährt sie mich an. Dann wendet sie den Blick von mir ab.
    »Ich muss dich etwas fragen, Mamie«, sage ich nach einer kurzen Pause. »Es ist sehr wichtig.«
    Sie starrt wieder aus dem Fenster, und im ersten Augenblick denke ich, dass sie mich gar nicht gehört hat. Aber schließlich sagt sie: »Ja.«
    »Mamie«, sage ich langsam, wobei ich jede Silbe deutlich ausspreche, sodass sie mich nicht falsch verstehen kann. »Ich muss wissen, ob du jüdisch bist.«
    Sie reißt den Kopf so schnell zu mir herum, dass ich auf meinem Stuhl erschrocken zurückweiche. Ihr Blick durchbohrt mich, und sie schüttelt heftig den Kopf. »Wer hat dir das denn erzählt?«, fragt sie mit scharfer, strenger Stimme.
    Ich wundere mich, dass meine Stimmung ein wenig sinkt. So schwer es mir auch fällt, Gavins Worten zu glauben, wird mir doch klar, dass ich die Möglichkeit in Betracht gezogen habe.
    »N-niemand«, sage ich. »Ich dachte nur …«
    »Wenn ich Jüdin wäre, dann würde ich den Stern tragen«, fährt meine Großmutter zornig fort. »Das verlangt das Gesetz. Und Sie sehen keinen gelben Stern an mir, oder? Erheben Sie keine Anschuldigungen, die Sie nicht beweisen können. Ich fahre nach Amerika, um meinen Onkel zu besuchen.«
    Ich starre sie an. Ihr Gesicht ist rot angelaufen, und ihre Augen flackern. »Mamie, ich bin’s«, sage ich sanft. »Hope.«
    Aber sie scheint mich gar nicht zu hören. »Belästigen Sie mich nicht, sonst werde ich Sie anzeigen«, sagt sie. »Nur weil ich allein bin, können Sie mich noch lange nicht ausnutzen.«
    Ich schüttele den Kopf. »Nein, Mamie, ich würde dich niemals …«
    Sie schneidet mir das Wort ab. »Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen.« Ich sehe mit offenem Mund zu, wie sie erstaunlich behände aufsteht und rasch auf ihr Schlafzimmer zugeht. Sie knallt die Tür hinter sich zu.
    Ich stehe auf und haste ihr einen Schritt nach, aber dann bleibe ich wie angewurzelt stehen. Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun soll. Es tut mir entsetzlich leid, dass ich sie aus der Fassung gebracht habe. Die Heftigkeit ihrer Reaktion verwirrt mich.
    Einige

Weitere Kostenlose Bücher