Solange die Nachtigall singt
er das Mädchen im Dorf wieder sagen. Branko ist ein Mörder, hörte er Branko selbst sagen.
»Nein«, sagte er laut. Und dann legte er das Kissen über seinen Kopf, um das Weinen nicht mehr hören zu müssen.
Als Jari am Morgen verschlafen in die Küche taumelte, saßen nur Jascha und Joana auf der Eckbank, identisch gekleidet in weichen blassroten Stoff wie die Blätter der wilden Rosen unter dem Morgentau. Ihre Wangen hatten die gleiche Farbe, ein wenig erhitzt, als hätten sie draußen in der Frühkälte einen Wettlauf gemacht. Jari warf ihnen einen fragenden Blick zu.
»Branko ist fort«, sagte Joana. »Er hat nur die Kiepe hiergelassen. Vielleicht hat er wieder geträumt.«
Neben der Spüle häuften sich Brankos Waren und die Dinge, die Jascha im Dorf gekauft hatte: Seife, Spülmittel, Brühwürfel, Kaffee, Milchpulver. Klopapier. Jari lachte beinahe. Worüber hatte er sich Sorgen gemacht? Aus einer Welt, in der es dreilagiges pastellgelbes Klopapier gab, gab es auch einen Rückweg. Nein, dies war kein Märchen.
»Heute ist Einkochtag«, verkündete Joana nach dem Frühstück und hievte einen riesigen Topf auf den Gasherd. »Zuckertag, Marmeladentag. Gestern waren wir im Wald, die letzten Brombeeren und Himbeeren sammeln vor dem Winter.«
»Wir?«, fragte Jari. »Du und … Branko?«
Joana nickte und adjustierte eine altmodische Waage. »Genügend Brombeeren für ein Jahr voller Marmeladenbrote.« Sie sah Jari nicht an, während sie die Beeren auswog.
»Branko hat gesagt, er wäre allein gewesen«, sagte Jari. »Allein hier im Haus.«
Joana zuckte die Schultern und blies das schwarze Haar aus ihrem Gesicht. »Armer Branko. Er ist manchmal allein, obwohl man bei ihm ist. Er ist manchmal im Haus, obwohl er im Wald ist. Wann hat er dir das erzählt?«
»Heute Nacht«, sagte Jari. »Er hat gesagt …« Nein, dachte er. Vielleicht war es besser, nichts zu erzählen. »Er hat unverständliche Dinge gesagt. Hat bestimmt geträumt.«
»Ja«, sagte Joana. »Bestimmt. Kannst du mir mal den Zucker aus dem Schrank geben?«
Gegen Nachmittag waren alle Beeren verkocht und in Gläser gegossen, und das ganze Haus roch nach klebrigem, süßem Dampf. Der Fuchs war geflohen, er schien keine Marmelade zu mögen.
»Zeit für frische Luft«, sagte Joana. »Wirst du uns helfen, die Rosenblätter zu holen?«
»Rosenblätter?«, fragte Jari.
Joana nickte. »Aus der Schlucht. In jedes Glas Marmelade muss eine Handvoll Rosenblätter. Es ändert nichts am Geschmack, aber es ist schön, im Winter beim Öffnen eines Marmeladenglases ein Rosenblatt zu entdecken. Wenn man hier draußen im Wald lebt, muss man darauf achten, auch in der kargen Zeit ab und zu etwas Schönes zu sehen.«
»Ihr braucht euch nur gegenseitig anzusehen«, sagte Jari und lächelte. »Das ist genug Schönheit. Mehr, als man vielleicht auf Dauer ertragen kann.«
Als sie am Gehege der Hühner vorbeigingen, sagte Jascha: »Wartet.« Sie stieg hinein, bückte sich in einer Ecke des Geheges und kehrte mit einem toten Huhn auf dem Arm zurück.
»Was ist mit ihm geschehen?«, fragte Jari. »War das der Fuchs?«
Jascha schüttelte den Kopf und hielt Jari das Huhn entgegen. Blut verkrustete das Gefieder am Hals, sein Genick war gebrochen. Sie begann, es zu streicheln, wie sie den toten Hasen gestreichelt hatte.
»Es ist in die Falle gegangen«, sagte sie. »Sie gehen in die Fallen wie die Hasen im Wald.«
»Ihr stellt Fallen … für Hühner?«, fragte Jari. »Jascha … warum dreht ihr ihnen nicht den Hals um?«
Sie legte eine Hand auf seine Wange. Ihre Lippen waren sehr rot und sehr nah.
»Ich bin Joana«, flüsterte sie. »Jascha ist schon vorausgegangen zur Schlucht. Aber das tut nichts zur Sache. Cizek … du musst wissen … es gibt etwas, was wir nicht können.« Sie sah ihn an. »Wir können nicht töten.«
»Nicht … töten?«
»Die Hühner müssen es selbst tun. Genau wie die Hasen. Wir sind nicht fürs Töten gemacht. Nur für die Schönheit.«
Jari nahm ihr das tote Huhn ab. Er wollte nicht länger zusehen, wie sie es streichelte. Der Anblick war zu absurd und auf gewisse Weise zu traurig. Er trug es in die Küche, legte es in die Spüle und kehrte zu Joana zurück. Sie sah ihn ratlos an, wie ein Kind.
»Es ist in Ordnung«, sagte er, »ich werde das Töten der Hühner übernehmen. Es sind nur Hühner. Lass uns Jascha nachgehen und diese verdammten Rosenblätter holen.«
Zwischen den Felswänden der Schlucht heulte jetzt ein
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