Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
Brille an, diese kleine Kamera. Aus dem Augenwinkel sah ich, das der Cyborg seine Waffe auf mich richtete, also betätigte ich den Abzug. Wieder. Und wieder. Und wieder, bis ich es nur noch klicken hörte. Dann ließ ich mich zurücksinken und die Hand zu Boden fallen; instinktiv hatte ich das leere Magazin ausgeworfen. Ich keuchte schwer, mein Gesicht war nass, ich zitterte. Irgendwo ganz in der Nähe hörte ich immer noch Bellings Schreien, die Schüsse, das Stöhnen.
»Cates!«, rief irgendjemand. »Die Tür!«
Ganz langsam drehte ich den Kopf zur Seite. Die Tür schloss sich wieder. Sie schien sich so träge zu bewegen wie in einem Traum. Ich hatte das Gefühl, ich könne noch eine Million Dinge erledigen, bis sie sich ganz geschlossen hätte.
»Cates!«
Ich stand auf, bückte mich und packte mit einer Hand den Mantel des Kardinals. Die Eissplitter und die Rasierklingen waren fort. Ich war erschöpft, spürte nur noch ein taubes Brummen. Mit abgestumpfter, sturer Entschlossenheit zerrte ich den Kardinal über den rauen Fußboden und schob ihn in den Türspalt. Das Türblatt krachte gegen den Leichnam; ein leises mechanisches Heulen war zu vernehmen, dann bewegte sich die Tür nicht mehr.
Erstaunt stellte ich fest, dass es rings um uns totenstill geworden war. Ich blickte mich um.
Endlich kam Kieth aus dem Sarg heraus. Belling saß breitbeinig auf dem Boden, die Waffen immer noch in der Hand, doch seine Arme hingen schlaff herab. Gatz saß noch genau dort, wo er auch eben gesessen hatte. Bäuchlings lag Tanner dort, ihre Hand ruhte völlig entspannt auf ihrer Waffe. Langsam ging ich zu Gatz hinüber und beugte mich über ihn; meine Hand verkrampfte sich um den Griff meiner Waffe. Ich zitterte am ganzen Leib.
»Verdammt!«, krächzte ich. »Verdammte Scheiße! Warum hast du das Ding nicht ›gepusht‹, verdammt noch mal?«
»Kein Gehirn!«, dröhnte Dawsons höhnische, verzerrte Stimme aus dem Inneren des Sargs. »Vollständig digital, Gates! Da gab es nichts für Ihren Ratten-Freund, das er hätte ›pushen‹ können!«
Ich ignorierte die körperlose Stimme, die wie ein übles Miasma in der Luft hing. Gatz sah genauso aus wie vorher. Blass, skelettartig, die Augen hinter den dunklen Gläsern seiner Brille verborgen. Wäre er jetzt aufgestanden und hätte sich das gerinnende Blut von Stirn und Kinn gewischt, hätte mich das nicht überrascht.
Ich blickte zu Kieth hinüber, dann weiter zu Belling. Hinter Belling lag ein ganzer Haufen Mönche. Der muss jedes einzelne von diesen Scheißdingern erledigt haben, ging es mir durch den Kopf. Auch der alte Mann keuchte jetzt. Er sah zerzauster aus, als ich ihn jemals erlebt hatte, und er schien auch nicht mehr so recht auf der Höhe zu sein. Zu einer anderen Zeit, unter anderen Umständen, wäre ich zutiefst beeindruckt gewesen von der schieren Masse erledigter Gegner, doch in meinem Innersten gab es nichts mehr außer Müdigkeit und einem unglaublichen Bedauern, das auf allem anderen trieb, wie Dreck auf der Oberfläche eines Sees.
Kieth ließ sich aus dem Sarg herausgleiten, landete auf den Knien und blieb einfach in dieser Stellung, die Arme fest an den Leib gepresst.
»Du hast mir die Rippen gebrochen«, flüsterte er rau.
»Leck mich!«, gab ich mit zusammengebissenen Zähnen zurück. Dessen Scheiß-Rippen! Ich hätte jemanden verloren, den ich noch am ehesten als meinen Freund bezeichnet hätte. Aus reiner Gewohnheit ließ ich mit steifen, arthritischen Fingern ein neues Magazin einrasten.
»Cates«, war Dawsons blubbernde Stimme wieder zu hören; wie Säure quoll sie über den Rand des Sarges und troff zu Boden. »Cates!«
Ich drehte mich um, ging auf den Sarg zu und blickte hinein. Meine Hände waren gefühllos wie zwei Steine, mein ganzer Körper zitterte nur noch. Höhnisch grinste mich Dawsons Latexgesicht mit diesen Kameraaugen an.
»Es gibt Dutzende von Kardinälen, Cates«, grollte er. »Bislang hast du Glück gehabt. Sie kommen.«
Ohne darüber nachzudenken, hob ich die Waffe und zielte auf Dawsons Gesicht.
»Leck mich!«, zischte ich.
Dawson verzog den Mund. Ich drückte ab – zwei Mal.
XXXIII
Auch bekannt als ›der Oberschnüffler‹
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Belling kämpfte sich wieder auf die Beine, lehnte sich gegen die Wand und lud nach. Kieth kniete immer noch auf dem Boden, stöhnte und umklammerte seinen Oberkörper.
»Halt endlich die Klappe, um Gottes willen! Du bist nicht tot!«, fauchte ich.
»Ty ist nicht für so einen
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