Sommer in Maine: Roman (German Edition)
verzog sich zu einem Lächeln. Vermutlich hatte sie sich daran erinnert, dass sie in Gesellschaft waren. In männlicher Gesellschaft.
»Ich bin nur so überrascht, dich hier zu sehen. Wann warst du das letzte Mal hier? Vor fünf Jahren?«
»Vor zehn.«
Sie musste doch wissen, dass Kathleen seit Daniels Tod nicht mehr hergekommen war.
»Lass mich dir Pfarrer Donnelly vorstellen«, sagte Alice. »Pfarrer Donnelly, das ist meine Älteste, Kathleen.«
Er gab ihr die Hand: »Ist mir eine Freude.«
»Setzt euch doch«, sagte Alice und schaltete auf gastfreundlich. »Es ist Platz für alle da. Ann Marie hat einen ganz köstlichen Geflügelsalat zubereitet.«
Auf dem Tisch stand tatsächlich auch eine Flasche Weißwein. Sie tranken also schon zum Mittagessen.
Ann Marie hielt ein verstaubtes Glas mit einem rötlichen Pulver hoch.
»Das Chilipulver!«, sagte sie verschwörerisch zu dem Pfarrer und schüttelte die Dose über dem Salat, als wolle sie das Glas leeren.
»Das reicht jetzt aber, meinst du nicht?«, sagte Alice und sah Maggie mit gehobener Augenbraue an. »Wir sind ja nicht beim Inder, meine Liebe.«
Maggie lachte, und Kathleen fühlte sich augenblicklich an den Strand auf den Bahamas zurückversetzt, als die beiden sich zusammen an Rum betrunken hatten und Kathleen zusehen musste, wie Alice ihre Tochter in das hineinzuziehen versuchte, vor dem Kathleen Maggie immer hatte bewahren wollen.
Alice musterte Kathleen: »Du siehst gut aus. Wie ich sehe, hast du dein leichtes Übergewicht gehalten.«
Kathleen knirschte mit den Zähnen: »Danke.«
»Auch für mich ist Clam Chowder für den Rest des Sommers tabu«, sagte Alice, dabei hatte sie nie mehr als zwei Löffel gegessen. »Das solltet ihr euch übrigens alle überlegen. Also: Was um Gottes willen hat dich den weiten Weg hierher gebracht? Ich hoffe, dir ist klar, dass der Juni in ein paar Tagen vorbei ist.«
»Ich habe sie eingeladen!«, sagte Maggie schnell, und Kathleen wurde klar, dass Maggie den anderen noch nichts erzählt hatte. Sie war das erste Mal seit Tagen ein bisschen erleichtert.
Alice schenkte Wein ein, doch als sie bei Maggie angekommen war, legte die ihre Hand aufs Glas.
»Ach du meine Güte, ist ja schon gut«, sagte Alice und verdrehte die Augen. »Wissen Sie, Pfarrer, früher war der Landkreis hier trocken. Damals hätten meine Tochter und Enkelin hier sehr gut reingepasst.«
»Ach«, sagte er, »das wusste ich ja gar nicht.«
»Doch, doch! Können Sie sich das vorstellen? Wenn man ausgehen wollte, musste man noch in den Sechzigern in eines dieser albernen orientalischen Teehäuser gehen. Wirklich sterbenslangweilig.«
»Aber ihr habt einen Weg gefunden«, sagte Kathleen und wandte sich dem Pfarrer zu: »Meine Mutter hat sich damals den Whiskey aus Boston mitgebracht. Jedenfalls bis sie selber trocken wurde.«
Alice warf ihr einen wütenden Blick zu, sagte dann aber: »Schuldig im Sinne der Anklage. Außerdem hätten wir es uns damals gar nicht leisten können, ständig auszugehen.«
Auf der anderen Tischseite häufte Ann Marie den Salat auf die Croissanthälften und schlug bei jeder Portion mit dem schweren metallenen Salatbesteck laut auf das Porzellan.
»Vorsicht!«, sagte Alice.
Ann Marie reagierte nicht.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte Alice.
»Es geht mir ausgezeichnet. Wieso?«
Alice schüttelte den Kopf.
Jetzt meldete sich der Pfarrer zu Wort: »Ann Marie und ich haben Ihnen etwas zu sagen.«
Jesus Maria im Himmel, hatte ihre Schwägerin was mit dem Priester?
»Was ist denn los?«, fragte Alice vergnügt, als erwarte sie einen Scherz. Lächeln! Wir kommen von Verstehen Sie Spaß !
»Ach, gar nichts«, sagte Ann Marie. »Ich – mir sind vorhin ein paar Croissants runtergefallen, und Connor hat’s gesehen.«
Sie sah ihn so entrüstet an, als habe er sie in Gegenwart des Papstes beleidigt.
Alice hielt ihren Teller hoch: »Das hier?«
»Nein, nein. Ich hab sie natürlich gleich weggeschmissen. Das war nur ein kleiner Scherz zwischen mir und dem Pfarrer. Haha.«
Kathleen stöhnte. Für Ann Marie war sowas vermutlich eine skandalöse Beichte.
Dann unterhielten sie sich übers Wetter und die Menschenmassen am Strand von Ogunquit. Für einen Parkplatz verlangten sie dort bis zu zwanzig Dollar am Tag. Moderne Straßenräuberei, wenn man Alice fragte. Sie sprachen davon, dass die Zikaden die Birkenwälder in Wells zerstörten und vom Besuch der Bischofskonferenz im Kloster von Kennebunk vorige Woche. Bei jedem
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