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Sommerglück

Sommerglück

Titel: Sommerglück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Gespür in der Lage gewesen, auf Anhieb einen Rivalen zu erkennen. Er hatte sich gewundert, wieso Bay es vorzog, den Tag an einer halbfertigen Uferpromenade zu verbringen, statt im Sund Wasserski zu laufen. Aber Sean mit seinem Feuer hatte nie begreifen können, welche Ausstrahlung der ruhige, poetische irische Zimmermann auf sie hatte.
    Bays Gedanken kehrten zu dem Aktenordner zurück, in dem sie den Brief gefunden hatte. Sie betrachtete den kühn gezeichneten Van, die schwungvoll hingekritzelten Worte »das Mädchen«. Sean war also wieder rückfällig geworden, das war alles, woran sie denken konnte. Er hatte wieder eine neue Flamme.
    Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was sonst dahinter steckte. Trotz der vielen gemeinsam verbrachten Jahre verstand sie ihren Ehemann weniger als je zuvor.

[home]
    4
    T ara umfasste Annies Fuß mit der linken Hand und lackierte ihr mit der rechten die Fußnägel. Der Fuß des Mädchens war inzwischen so groß wie der einer Frau, doch als Tara ihn in der Hand hielt, fühlte sie sich in die Zeit zurückversetzt, als Annie noch ein Baby war: Als ihre Patin hatte sie »Zehenzählen« mit ihr gespielt, sie zum Lachen gebracht und sich gewünscht, eines Tages eine eigene Tochter zu haben.
    »Schätzchen, du hast den ersten Preis gewonnen«, sagte Tara nun.
    Annie antwortete nicht. Sie hatte die Pediküre kaum wahrgenommen, ihre Aufmerksamkeit war auf die Treppe gerichtet. Von oben war kein Laut zu hören. Bay war beängstigend still, so dass Taras Nervosität wuchs.
    »Was für einen Preis?«, fragte Annie.
    »Für die besten Strandfüße. Eine Eins mit Sternchen für Strandmädchen-Füße. Diese Schwielen schlagen alles, was deine Mutter und ich in deinem Alter vorweisen konnten. Hautnahe Berührung mit Rankenfußkrebsen, Krebsfang auf den Felsen, verbrannt vom heißen Teer – du bist ein Ass.«
    »Danke«, sagte Annie, ohne auch nur die Andeutung eines Lächelns. »Was macht sie da oben? Warum halten wir nicht nach Dad Ausschau?«
    Tara atmete tief durch und konzentrierte sich, während sie einen Klecks muschelrosa Nagellack auf Annies kleinen Zeh auftrug – als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt, als Nägel ohne Patzer zu lackieren.
    »Tun wir doch. Ich meine, deine Mutter macht das schon. Sie steht in ständiger Verbindung mit der Polizei, und bestimmt ruft sie gerade bei den Freunden deines Vaters an, um sich zu erkundigen, wo er stecken könnte. Du kennst doch deinen Vater …«, sagte Tara, doch dann verstummte sie, weil sie merkte, dass sie sich auf gefährliches Terrain begab.
    »Was meinst du mit ›kennen‹?«, fragte Annie prompt.
    »Oh, ich meine, er ist abenteuerlustig, für jeden Spaß zu haben«, sagte Tara sanft. Zum Beispiel fremdgehen, deiner Mutter das Herz brechen, seine Familie im Stich lassen, das Geld für deine Ausbildung in den Casinos verspielen …
    »Du meinst angeln? Und zelten?«
    »Genau.«
    »Aber was ist mit dem Blut?«
    »Schätzchen, ich weiß.« Tara streichelte behutsam Annies Fuß, blickte in die sorgenvollen Augen ihres Patenkindes. Sie fand keine Erklärung für das Blut. Wenn sie nur so unbekümmert wie ihre eigene Mutter wäre und ihre weisen Ratschläge mit Humor verbrämen könnte …
    »Es reicht, Tara.« Annie musterte ihre Zehen. »Ich kann nicht tatenlos rumsitzen und mir eine Pediküre machen lassen. Ich sollte längst wieder losfahren, nach ihm suchen –«
    »Nein, du solltest hier bleiben, Annie. Es wird schon dunkel, du kannst nicht –«
    »Ich muss aber!«, sagte Annie, beinahe entschuldigend, sprang von der Weidencouch hoch und humpelte zur Tür, die Zehen himmelwärts gebogen. »Vielleicht braucht er mich!«
    »Annie, es wird dunkel«, rief Tara ihr nach, aber Annie war schon aus dem Zimmer und aus dem Haus gestürmt. Als sie die Hintertür aufriss, wehte der süßliche Verwesungsgeruch der Gezeiten mit der Sommerbrise zu ihr herüber. Der Himmel war noch hell, die Bäume leuchteten; in diesen Breiten war heute der längste Tag des Jahres. Höchste Zeit, ihrer Mutter Bescheid zu sagen.
    Tara ging nach oben und stand vor Bays geschlossener Tür. Sie klopfte an, dann trat sie ein. Ihre beste Freundin saß am Fußende des Bettes, starrte in die offene Aussteuertruhe und hielt ein Bündel Briefe in den Händen. Tara nahm neben ihr Platz und legte den Arm um ihre Schultern.
    »Deine Tochter hat sich auf eine Mission begeben.«
    »Sie sucht Sean.«
    »Was sonst. Mit sieben rosa lackierten Zehennägeln.

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