Sommerglück
Einmal erhielt der Mitarbeiter, der die meisten Neukunden an Land zog, ein Wochenende in Newport als Leistungsanreiz – solche Dinge. Er muss immer das größte Boot, das neueste Auto haben.«
Das Gegenteil von Bay, dachte Joe, der sich Notizen machte.
»Sind Sie jemals auf den Gedanken gekommen, er könnte Kundengelder unterschlagen?«
»Damals nicht. Nie im Leben. Das fing erst nach der Vorstandswahl an –«
»Als die Shoreline Mark Boland abwarb und mit dem Posten betraute?«
»Ja. Er war früher bei Anchor. Ich muss zugeben, dass ich es auch empörend fand. Sean und ich hatten beide mit der Position geliebäugelt. Ich denke, dass wir unsere Sache nicht schlecht gemacht hätten. Aber sie entschieden sich stattdessen für einen Quereinsteiger.«
»Und danach änderte sich Seans Verhalten?«
Fiona nickte. »Ja, er war wütend. Zuerst mauerte er – weigerte sich, Zahlen weiterzugeben, über Kredite zu diskutieren. Er nahm nicht an Mitarbeiterbesprechungen teil, nahm jede Gelegenheit wahr, um mit seinem Boot aufs Meer hinauszufahren. Eines Tages bekam ich ihn zu fassen, als er gerade Feierabend machen wollte; ich redete ihm ins Gewissen, sagte ihm, er solle sich zusammenreißen – seiner Familie zuliebe, wenn schon nicht um seiner selbst willen.«
»Lief er Gefahr, entlassen zu werden?«
Fiona nickte. »Ich denke, es hätte nicht viel gefehlt.«
»Und was geschah dann?«
»Nun, ein paar faule Kredite – mir kam das eine oder andere seltsam vor, aber ich wollte ihn nicht denunzieren. Sean begann ein Techtelmechtel mit einer Sachbearbeiterin aus der Kreditabteilung – machte keinen Hehl daraus, ziemlich unverfroren. Ich kenne Bay und mag sie, und ich fand, er benahm sich wie ein Arschloch. Er ging öfter mit Lindsay ins Casino, und am nächsten Tag, wenn sie zur Arbeit kam, plauderte sie aus dem Nähkästchen.«
»Indiskret.«
»Sehr. Lindsay erzählte, dass Sean die Kreditvergabe ziemlich locker handhabte, und als plötzlich die faulen Kredite auftauchten, hatte ich ein mulmiges Gefühl.«
»Haben Sie ihn darauf angesprochen?«
»Ja. Zuerst sagte er, es sei alles in bester Ordnung. Aber dann begann er mir aus dem Weg zu gehen. Jedes Mal, wenn ich mit ihm reden wollte, hatte er es eilig und bat er mich, ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen oder eine E-Mail zu schicken. Schließlich brachte ich das Thema bei Mark zur Sprache.«
»Aha.«
»Ja. Er war völlig von den Socken. Er mochte Sean – wie alle. Und Mark spürte wohl, wie sehr Sean es hasste, den Kürzeren gezogen zu haben. Sie kannten sich schon länger – vom Highschool-Sport, soweit ich weiß. Und sie spielten beide Golf, glaube ich. Sean gehörte zu den Typen, die auf dem Golfplatz sogar um die Uhr oder die Manschettenknöpfe ihres Gegners spielen wollen.«
»Und um Geld?«
Fiona schüttelte den Kopf. »Weniger. Ich glaube, dieser Ehrgeiz war ihm in die Wiege gelegt worden. Sean kam aus einer Arbeiterfamilie und sehnte sich nach dem ganzen Schnickschnack, der damit einhergeht, wenn man mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wird. Viele Bankmanager in Neuengland stammen aus einem erstklassigen Stall …«
Joe nickte. Er hatte seine Hausaufgaben gemacht. Fiona und Sean hatten vor drei Jahren an einem Seminar der Bank in New York teilgenommen; die Unterlagen des Hotel Gregory ließen darauf schließen, dass sie ein Doppelzimmer genommen hatten. Die Arbeit war ein Bindeglied, aber Joe vermutete, dass ihn das Internatsflair am meisten an ihr gereizt hatte. Fiona war in Providence aufgewachsen, hatte den Sommer in Newport verbracht. Ihre Familie war im Gesellschaftsblatt verzeichnet, wie alles, was Rang und Namen hatte. Sie hatte die Madeira School und das Middlebury College besucht und ihren Abschluss an der Columbia Business School gemacht.
Sie gab sich nun betont lässig, während sie Joe fest anblickte. Trotz der Klimaanlage rann ihm der Schweiß zwischen den Schulterblättern hinab. Er fragte sich, ob sie wohl »das Mädchen« war.
Die Polizei hatte einen Aktenordner voll mit Kontoauszügen und Belegen auf Seans Boot gefunden. Joe hatte sie überprüft und festgestellt, dass sie weitgehend den Kunden gehörten, die er bestohlen hatte. Was ihn verwirrte, war die Art, wie Sean immer wieder die Worte »das Mädchen« gekritzelt hatte – Joe hatte schon viele Handschriften von Straftätern analysiert und konnte sich im Allgemeinen ein Bild von den Gefühlen machen, die in dem gedankenlosen Gekrakel
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