Sommerglück
Holzboot-Mentalität. Ich halte nichts von Dingen, die dem Leben das Geheimnisvolle nehmen.«
Bay zuckte verdutzt die Schultern. »Ich habe keine Ahnung, wer die Anruferin gewesen sein könnte. Hast du die Polizei verständigt?«
Er schwieg. Allie brachte die Limonade, und er wartete, bis sie gegangen war. Gedankenverloren berührte er das beschlagene Glas. Dann sah er hoch und erwiderte ihren Blick. »Nein. Habe ich nicht, deinetwegen.«
»Meinetwegen? Was soll das heißen?«
Er kniff leicht die Augen zusammen, dann lächelte er. »Weil ich dummerweise immer noch das Bedürfnis habe, dich zu beschützen.«
»Danke. Ich kann es gut gebrauchen.«
»Ich bin froh, dass du es so sieht. Ich weiß, du bist erwachsen, eine fantastische Mutter, tüchtig wie keine andere … Trotzdem, für mich bist du immer noch das kleine Mädchen, das nur aus Haut und Knochen bestand und mich ständig von der Arbeit abhielt, als ich die Uferpromenade zu bauen versuchte«, sagte er und bemühte sich um eine neutrale Miene, aber das Lächeln war stärker.
»Ich war kein kleines Mädchen! Ich war fünfzehn.«
»Stimmt, Galway, ich glaube, du hast recht«, sagte er, als ihn die Erinnerungen überfielen. Er hatte sie zu seiner Assistentin ernannt und ihr seinen Werkzeugkoffer zum Halten gegeben, damit sie ihm Nägel zureichen konnte, während er Planke um Planke aneinanderfügte. Er hatte sie Galway Bay genannt, oder nur »Galway«, nach der berühmten Bucht in Irland, in einer scheinbar barschen Art, hinter der sich ein so liebevoller Spott verbarg, dass ihre Haut jedes Mal prickelte, wenn sie den Namen hörte – genau wie jetzt.
»Ich war eine gute Gehilfin«, protestierte sie. »Die Uferpromenade hätte nie so lange gehalten, wenn ich dir nicht zur Hand gegangen wäre.«
»Du warst gar nicht so schlecht. Für einen blutigen Laien.«
»Beim Zureichen der Nägel?«
»Und beim Umgang mit dem Hammer. Wenn ich mich recht erinnere, hast du deine Sache sogar ganz gut gemacht.«
»Wie könnte es auch anders sein? Du warst schließlich mein Lehrmeister. Ich habe deine Anweisungen bis zum heutigen Tag beherzigt: Wenn ich Bilder aufhänge, fasse ich den Hammer kurz, hole locker aus und behalte die ganze Zeit den Nagel im Auge – als würde ich einen Baseball schlagen … Ich denke gar nicht mehr darüber nach … es ist wie Zen – und ich treffe nie versehentlich den Daumen. Nachdem ich Lehrgeld zahlen musste …«
»Als du den Daumen erwischt hattest und ich den ganzen Tag in der Klinik mit dir verbringen musste, um die Wunde nähen zu lassen«, ergänzte er grinsend. »Damals befürchtete ich, dass ich dir nicht viel beigebracht habe.«
»Aber das hast du, und die Lektionen sind mir noch heute gegenwärtig. Als die Kinder klein waren und Baseballschläge übten, dachte ich oft daran, wie du gesagt hast: den Hammer kurz fassen, locker ausholen, er findet den Nagel von alleine, nicht darüber nachdenken … und ich sagte ihnen, haltet das Schlagholz locker in der Hand, es findet den Ball von allein. Damit habe ich Sean auf die Palme …« Sie verstummte, blickte auf ihre Knie herab.
»Warum hat ihn das auf die Palme gebracht?«
»Weil er es nicht verstand. Er machte alles mit Brachialgewalt. Er predigte den Kindern, mit voller Wucht auf den Ball einzudreschen, was das Zeug hielt, und ihn in Richtung Sonne zu jagen.«
»Regt es dich auf, wenn du daran denkst?«
»Allein an Sean zu denken, regt mich schon auf.« Sie sah hoch. »Aber nicht wegen dem, was ich dir neulich erzählt habe, nach der Beisetzung. Das war nicht so gemeint, weißt du. Ich hasse meinen Mann nicht.«
»Das habe ich auch nicht angenommen, Bay.«
»Es ist ziemlich kompliziert. Ich bin wütend auf ihn. Wegen der Dinge, die er getan hat, und weil er gestorben ist. Weil er die Kinder alleine gelassen hat. Weil er mich belogen hat.«
»Ich weiß«, sagte Dan. »Ich war auf Charlie genauso wütend, aus den gleichen Gründen.«
Bay nickte, obwohl sie überrascht war, zu hören, dass Charlie irgendetwas getan haben sollte, das ihn in Wut versetzte. Hatte sie ihn belogen? Oder bezogen sich seine Worte lediglich auf die Lücke, die der Tod eines Menschen im Leben der Familie hinterließ?
»Da wir gerade von Sean sprechen. Es gibt da etwas, worüber ich mit dir reden wollte. Du erinnerst dich noch an unsere Briefe?«
»Und ob, Galway. Du meinst sicher diejenigen, die du mir im Winter nach dem Uferpromenaden-Sommer pausenlos geschickt hast.«
»Du hast ein
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