Sommerliches Schloßgewitter
gleichgültig sein, ob er sich im westlichen Wäldchen oder sonstwo befand. Er stapfte weiter.
Der Boden unter seinen Füßen war glitschig und bedeckt mit Brombeerranken, die ihn durch seine leichten Flanellhosen piekten und ihm größtes Unbehagen bereitet hätten, wenn er in der Verfassung gewesen wäre, von Brombeerranken Notiz zu nehmen. Überall waren Bäume, gegen die er rannte, und Wurzeln, über die er stolperte. Und vor ihm, auf einer Lichtung, stand eine verfallene Hütte. Sie fiel ihm auf, da sie der richtige Ort zu sein schien, wo man sich jetzt, da ein warmer, stürmischer Wind aufgekommen war, unterstellen und eine Zigarette anzünden konnte. Ihn verlangte dringend nach etwas Nikotin.
Er war überrascht, als er feststellte, daß es regnete und zwar, nach dem Zustand seiner Kleidung zu urteilen, schon seit einer ganzen Weile. Außerdem donnerte es. Das Gewitter war jetzt richtig in Gang gekommen, und rings um ihn her rumpelte es. Ein heller Blitz erinnerte ihn daran, daß diese Hütte zwischen den Bäumen genau einer der Orte war, wo einen für gewöhnlich der Blitz erschlug. Beim Abendessen wird man vermißt, und später kommen Suchmannschaften mit Laternen. Einer stößt mit dem Fuß an etwas Weiches, und der Schein der Laterne fällt auf etwas schwarz Verkohltes. Hierher, schnell, wir haben ihn gefunden! Wo? Hier drüben. Ist das Hugo Carmody? Meine Güte! Legt ihn da drauf, Jungs. War ein feiner Kerl. Aber ziemlich niedergeschlagen in letzter Zeit. Kummer mit einem Mädchen, glaube ich. Wird ihr leid tun, wenn sie davon erfährt. Man könnte fast sagen, sie hat ihn soweit getrieben. Vorsichtig mit der Bahre. So, fertig und hoch. Vorwärts!
Diese Vorstellung hatte für Hugo etwas Bestechendes. Ajax hatte den Blitzen getrotzt, Hugo Carmody forderte sie eher heraus. Bewundernd betrachtete er einen besonders grellen Strahl, der sich durch die Baumwipfel zu winden schien wie eine Schlange. Trotzdem konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er klatschnaß wurde. Man konnte sich ja auch in diesem Hüttendingsda vom Blitz erschlagen lassen. Also vorwärts zur Hütte! dachte Hugo und setzte sich in Eilmarsch.
Kaum war er an der Tür angekommen, als diese aufgerissen wurde. Er hörte ein Geräusch wie das eines aufsteigenden Fasans, und im nächsten Augenblick hatte sich etwas Weißes in seine Arme geworfen und wild zu schluchzen begonnen.
»Hugo! Hugo, Liebster!«
Sein Verstand sagte Hugo, daß es unmöglich Millicent sein konnte, die sich in dieser Weise an ihn klammerte und zu ihm sprach. Aber allem Anschein nach war es doch Millicent. Sie fuhr fort, zutraulich und geradezu wortreich auf ihn einzureden.
»Hugo! Rette mich!«
»Aber gern!«
»Ich gi-gi-ging da hinein, um mich un-un-unterzustellen, und es ist sto-to-tockfinster drin.«
Hugo drückte sie zärtlich an sich mit jenem Gefühl der Erleichterung, das ein Mann verspürt, der unversehens da drückt, wo zu drücken er kaum gehofft hatte. Es war jetzt nicht mehr nötig, das Passende zu sagen. Auch Gründe und Erklärungen, Bitten und Beschwörungen waren nicht mehr nötig. Nichts war mehr nötig außer einem starken Bizeps.
Er war verblüfft. Aber in diese Verblüffung mischte sich ein gewisses Wohlbehagen. Es war unbestreitbar etwas Beglückendes an diesem Ausbruch bebender Zaghaftigkeit einer Person, deren einziger kleiner Fehler darin bestanden hatte, daß sie zur Nüchternheit neigte und gerne dieses strahlende, unerschütterliche Selbstvertrauen an den Tag legte, wie es für die Mädchen von heute so charakteristisch ist. Wenn dieses Dahinschmelzen darauf zurückzuführen sein sollte, daß Millicent in der Hütte einem Gespenst begegnet war, dann hätte Hugo jetzt gerne die Bekanntschaft dieses Gespensts gemacht und ihm die Hand gedrückt. Jeder Mann hat es gerne, wenn er dem Mädchen, das er liebt, tröstend übers Haar streichen kann, besonders dann, wenn sie ihn während der letzten Tage wie einen überdurchschnittlich unappetitlichen Wurm behandelt hat. Hugo fand sich nun in dieser Lage, und er strich ihr übers Haar.
»Nur ruhig«, sagte er tröstend. »Jetzt ist alles wieder gut.«
»Es ist ni-ni-ni …«
»Es ist was?« fragte Hugo erstaunt.
»Es ist nicht alles gut. Da ist ein Mann drin!«
»Ein Mann?«
»Ja. Ich hatte keine Ahnung, daß da jemand war, und es war stockfinster, und da hörte ich ein Geräusch und fragte ›Wer ist da?‹, und da hat er etwas auf Russisch geantwortet.«
»Auf
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