Sommerliebe
dem Heesters-Film gesehen haben? Ich glaube, ja. Erinnerst du dich?«
Die beiden Mädchen blickten herum, berieten sich kurz, setzten sich in Bewegung, überließen es den Männern, ihnen zu folgen, und stießen an der nächsten Ecke auf das gesuchte Objekt.
Das Kino hieß Scala.
Die Männer fragten sich, was die Mädchen vorhatten. Sie ahnten es erst, als sie sahen, daß Ilse und Inge auf den Eingang des Theaters zusteuerten.
»Was denn?« fragte Rolf. »Gegessen wird nicht?«
»Doch«, antwortete Ilse. »Im Kino.«
»Im Kino?«
»Ganz recht, es müssen nicht immer Bonbons oder Schokolade sein.«
Rolf blickte Heinz an, Heinz Rolf, und beide zuckten mit den Schultern. Was will man machen, hieß diese Geste.
Die Scala waren ein berühmtes Herrschergeschlecht in Oberitalien zur Zeit der Renaissance. Hervorgegangen aus den Condotieri, entwickelten sie sich bald zu einer gefürchteten Fürsten- und Tyrannenfamilie. Nach ihnen mag wohl auch Europas berühmteste Oper, die Mailänder Scala, benannt sein. Es gibt aber darüber hinaus fast in jeder zweiten deutschen Stadt auch ein Kino dieses Namens, dessen Herkunft nur den wenigsten Besitzern jener Theater bekannt sein dürfte. So besaß auch Swinemünde ein Scala-Kino am Skagerrak-Platz, wo sich an einem Augusttag im Jahre 1939 auf den Sperrsitzen Nr. 132 und 133 und 134 und 135 zwei junge Damen aus Berlin mit ihren Verehrern aus Köln zur ersten Nachmittagsvorstellung niederließen und das Dunkelwerden herbeisehnten.
Jedes der Mädchen hielt in seinem Schoß eine große Papiertüte, aus der dunkelgrüne Kohlrabiblätter und hellgrüne Möhrenblätter herauslugten. Die Mädchen saßen zwischen den Männern. Letztere hatten bei den Mädchen ihre Taschenmesser abliefern müssen. Damals war es noch üblich, daß Männer mit Taschenmessern ausgerüstet waren.
Endlich erloschen die Lichter, und der Film begann. Er hieß ›Unter heißem Himmel‹. Die Hauptrolle spielte Hans Albers, ein Mann, der eher nach dem Geschmack Inges war als Johannes Heesters.
Es war ein lauter Film. Dampfsirenen heulten, Schüsse peitschten, Menschen schrien, Autos brausten dahin. Zugleich mit diesen Geräuschen begann es in den Schößen Ilses und Inges zu rascheln und zu schaben. Erst waren die Möhren an der Reihe, dann die Kohlrabi.
Heinz lehnte ab, als auch ihm Ilse eine der Feldfrüchte zwischen die Finger schieben wollte.
»Nein, danke«, knurrte er zwischen zwei Schüssen auf der Leinwand.
Dann nicht. Ilse ließ sich davon den Appetit nicht verderben.
Auf Inges Seite spielte sich fast dasselbe ab. Nur lauteten Rolfs Abwehrworte anders, nämlich: »Geh mir weg!«
Es kam eine leise Szene, in der Hans Albers lyrisch wurde und seine Liebe gestand. Mittendrin biß Ilse besonders herzhaft – knack! – in einen Kohlrabi.
»Ich will nicht, daß du unter diesen Lumpen bleibst«, tönte es von der Leinwand.
Knack!
Inge war dem Beispiel Ilses gefolgt.
Die Stimme von Hans Albers: »Verstehst du das denn nicht, Mädchen?«
Knack! – Ilse.
Heinz und Rolf blickten starr geradeaus. Mein Gott, dachte jeder von seinem Mädchen, ist die verrückt geworden … jetzt … gerade jetzt … die Leute schauen schon!
In den Sitzreihen vor ihnen und hinter ihnen machte sich tatsächlich eine gewisse Unruhe breit.
Albers: »Soll ich dir noch sagen, daß ich dich liebhabe?«
Knack!
Knack!
»Du kommst zu meiner Mutter nach Blankenese und wartest, bis ich den ganzen Krempel hier aufgeräumt habe.«
Gebannt lauschte das Publikum.
Alles war voller Spannung und Mitgefühl. In nicht wenigen Augen schimmerten Tränen. Sogar Inge vergaß zwischendurch zu beißen und zu kauen. Der rauhe Albers, den sie schätzte, konnte ja zur rechten Zeit auch so zart sein; er spielte sich wieder tief in ihr Herz hinein.
Knack! – Ilse.
Der Inhalt des Films war ein ziemlicher Mist, deshalb hielt sich der Bann, in den Ilse geschlagen wurde, in Grenzen.
Knack!
Heinz zuckte fortwährend zusammen. Jedes ›Knack!‹ dünkte ihn in der Stille wie ein Kanonenschuß. Wann macht sich die Entrüstung des Publikums Luft? Das konnte nicht mehr lange ausbleiben.
Aber nichts geschah. Auf der Leinwand ging das Schießen weiter, Todwunde röchelten, Augen brachen, der Gauner wurde geblendet, nach menschlichem Ermessen hätte Hans Albers längst zermalmt sein müssen – aber siehe da, er lebte, er lachte, er sang, der Teufelskerl liebte sogar!
Hurra, Hans Albers, hurra, du Sieger, du Mann der Intelligenz, die sich mit
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