Sommerliebe
vierten Platz, der ihr geeignet erschienen wäre, gab es nicht.
Der auf dem Konsölchen wurde von Heinz verworfen.
»Nicht da, bitte«, sagte er.
»Warum nicht?«
»Wenn man zu nahe bei Blumen schläft, bekommt man Kopfweh.«
»Du hast recht«, besann sich Ilse und trug die Vase zurück zum Tisch.
Der wahre Grund von Heinz war ein anderer. Heinz fürchtete, daß die Vase im Sturm der Leidenschaft, den er immer noch zu entfachen gedachte, vom Konsölchen gestoßen werden konnte.
Ilse blickte zwischen Tisch und Fensterbrett hin und her. Auf letzteres zeigend, sagte sie: »Oder passen sie nicht doch besser dahin?«
»Ilse!«
»Ja?«
»Komm, laß das jetzt, setz dich wieder zu mir.«
Sie sträubte sich dagegen zwar nicht, aber die alte Stimmung war nur schwer wiederherzustellen. Inzwischen schien nämlich für Ilse noch ein anderer Gesichtspunkt beachtenswert geworden zu sein.
Ob er denn nicht meine, fragte sie Heinz, als er sie wieder in seine Arme nahm, daß die Tür bei ihm auch abgeschlossen werden müßte. Dieses Zimmer hier ließe nämlich an eine häufige Einrichtung im Ruhrgebiet denken.
»An eine häufige Einrichtung im Ruhrgebiet?« antwortete er.
»An einen Taubenschlag.«
Ilse war aber kein Eisblock, sondern ein Mädchen aus Fleisch und Blut. Dank der Bemühungen von Heinz stellte sich bei ihr allmählich doch wieder der Zustand ein, in dem sie sich vorher schon befunden hatte, ehe sie gestört worden waren. Dort, wo sie saß, kam zusätzlich noch ein wahrer ›genius loci‹ zur Wirkung, und so ließ sie es zu, daß Heinz sie zu sich auf sein Lager niederzog und sich an ihrer Kleidung zu schaffen machte, obwohl sie ursprünglich sein Zimmer keineswegs in der Absicht betreten hatte, das zu dulden. Sie war aber nun einfach reif dazu. Ihr Wille, sich Heinz zu versagen, brach zusammen. Berlin, ihr Lebenskreis dort, ihr Verlöbnis, all dies war vergessen. Bereit zur Hingabe, flüsterte sie ihm heiß ins Ohr: »Sperr wenigstens die Tür ab.«
Das wollte er tun, aber plötzlich lag er wie gelähmt da, schien in sich hineinzuhorchen. Sie lag halb auf ihm, drückte ihn, beschwerte seinen Bauch, und das hatte, obwohl sie ein wundervoll schlankes, federleichtes Mädchen war, Konsequenzen.
Die Katastrophe war unabwendbar.
»Großer Gott!« stöhnte er.
»Was ist?« fragte sie erschrocken, sich instinktiv noch leichter machend. Es war umsonst, Ilse konnte damit nichts mehr rückgängig machen.
Er wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen.
»Ich muß!«
Es ließ sich keine Sekunde mehr hinausschieben, geschweige denn ein halbes oder auch nur ein Viertelstündchen, das ihm durchaus schon genügt hätte.
Ein konventionelles »Tut mir leid« hervorstoßend, ließ er sich aus dem Bett fast fallen, rappelte sich auf, setzte wieder über seine Hausschuhe hinweg und konnte von Glück sagen, daß er die Toilette überhaupt noch rechtzeitig erreichte. Jeder, der so etwas schon am eigenen Leib erfahren hat, braucht dazu keine näheren Erläuterungen. Auf der Schüssel thronend, befand sich Heinz in einer Verfassung vollständiger Depression. Doch schon auf dem Weg zurück zu seinem Zimmer keimte wieder Hoffnung in ihm. Indes, als er die Tür aufstieß, mit einem Lächeln auf den Lippen, sah er, daß er sich keine Illusionen mehr machen durfte. Ilse saß, adrett angezogen, auf ihrem Stuhl am Tisch und gab einer der Blumen in der Vase den richtigen Platz.
Heinz Bartel versuchte gar nicht mehr eine Umkehr der Dinge.
Ilse fragte ihn: »Die Medizin, die dir Rolf verschrieben hat, wie oft mußt du die nehmen?«
»Die soll er selber schlucken und sie anschließend gleich wieder auskotzen!«
»Wie oft mußt du sie nehmen?«
»Ich sage dir doch –«
»Wie oft?«
»Stündlich.«
»Dann wird's Zeit. Wo hast du sie?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wo du sie hast, frage ich dich?«
Er nickte zum Konsölchen hin. Ilse zog die Schublade auf, fand das Fläschchen. Es waren also Tropfen. Ilse fand auch noch ein Löffelchen, in dem zehn solcher Tropfen Platz hatten. So viele mußten laut Rezept jeweils genommen werden. Dabei würde, wie Heinz zeternd behauptete, einer genügen, um ihm den Magen umzustülpen.
»… sieben … acht … neun … zehn«, zählte Ilse die Tropfen in das Löffelchen.
»Mach den Mund auf«, sagte sie dann, mit dem Löffelchen auf seine zusammengepreßten Lippen zielend.
Er wandte den Kopf ab.
»Mach den Mund auf, oder ich besuche dich morgen nicht mehr.«
»Ilse«, sagte er mit
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