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Song of the Slums

Song of the Slums

Titel: Song of the Slums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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Schultern. »Zumindest ist er dadurch am Leben geblieben.«
    »Ja, aber das war nicht seine Art Leben, Liebes. Verwaltung – das lag ihm nicht. Er hätte draußen sein müssen, bei seinen Männern und mitten im größten Schlachtengewimmel Entscheidungen treffen, statt seine Zeit eingezwängt hinter einem Schreibtisch zu verbringen. Und dann, nach dem Krieg, machte er den Fehler, vollständig in den Ruhestand zu gehen. Und er heiratete er mich. Das war der schlimmste Fehler von allen.«
    »Aber doch
sein
Fehler, nicht deiner!«
    Astors Mutter nickte. »Ich widerspreche dir ja nicht, Liebes. Ich erwarte auch nicht, dass du sein Verhalten entschuldigst. Ich wünsche mir nur, dass du vielleicht verstehst, warum
ich
das tue. Er war so ein bewundernswerter Mann.«
    »
War

    »Auch noch zu der Zeit, als ich ihn geheiratet habe. Er war großzügig, anständig und geradeheraus. Man konnte kaum wahrnehmen, dass etwas von innen an ihm nagte. Diese Unsicherheit.«
    »Aber es wurde schlimmer.«
    »Ja. Ich kann gar nicht sagen, wann genau es begann. Irgendein unbedeutender Anlass, bei dem ich erwähnte, dass ich an deinen Vater denken musste. Ich habe mich nicht nach ihm verzehrt, sondern musste einfach an ihn denken. Es ist doch natürlich, wenn ich hin und wieder an ihn denke.«
    »Selbstverständlich. Es wäre bedenklich, wenn du das nicht tätest.«
    »Aber weißt du, er hatte keinerlei Erfahrungen mit vertrauten Beziehungen. Er wusste natürlich, dass ich verheiratet gewesen und verwitwet war, aber ich glaube nicht, dass er wirklich verstanden hat, was das beinhaltet. Ja, und ein paar Monate nach unserer Hochzeit ging es los mit seiner Eifersucht.«
    »Das hättest du mir erzählen müssen.«
    »Vielleicht. Aber dann hätten wir uns wirklich gegen ihn verbündet, oder?« Astors Mutter schüttelte den Kopf. »Das Problem war, dass er einfach zu viel freie Zeit hatte, nachdem er im Ruhestand war. Zu viel Zeit zum Grübeln. Dein Stiefvater ist kein besonders phantasiebegabter Mensch – ganz im Gegenteil. Aber wenn es um mich und deinen Vater geht, kannst du dir nicht vorstellen, welch wilde Gedanken ihm da durch den Kopf schießen. Er weiß nichts von Frauen, und weil er nichts weiß, hat er Angst vor ihnen.«
    Astor schnaubte. »Und was ist mit seiner Tapferkeit?«
    »Ich denke mal, es gibt die eine Art von Mut, die man braucht, um in einem Krieg zu kämpfen, und eine andere Art von Mut, die man für die Liebe braucht. Du hast ihn ja gesehen. Nichts als Ängste und Besessenheiten.«
    »Mir gegenüber auch.«
    »Ja, leider. Du bist eben deines Vaters Tochter. Und er hatte Angst vor dir, weil er befürchtete, du könntest ihn durchschauen und seine Schwäche erkennen. Er schämt sich, eifersüchtig zu sein, und doch kann er nicht damit aufhören. Und wenn du das erkannt hättest, hättest du ihn verachtet.«
    »Aber das
tue
ich doch, ich verachte ihn dafür.«
    »Ich weiß. Die Jugend ist nicht sehr gütig.«
    »Er verdient keine Güte.«
    Irgendwo im Haus schlug eine Standuhr die volle Stunde an. Astor hörte nur mit halbem Ohr hin … bis ihr schlagartig bewusst wurde, dass es sehr viele Schläge waren.
    Nach dem letzten Schlag fragte sie ihre Mutter. »Wie spät ist es denn?«
    »Zwölf Uhr.«
    »Wie bitte? Es ist der Tag des Putsches!«
    »Ja, dein Stiefvater ist auf dem Weg dorthin.«
    »Wann ist er gegangen?«
    »Na, kurz bevor ich dich aus dem Zimmer befreit habe.«
    »Es muss jeden Moment losgehen! Ich muss dahin!« Astor rannte den Korridor entlang in Richtung Foyer.
    Ihre Mutter versuchte, mit ihr mitzuhalten. »Ich hab gehört, dass sie vorhaben, das Parlamentsgebäude um ein Uhr zu erreichen. Er ist die repräsentative Gestalt, die sie brauchen, auch wenn ich nicht weiß, warum.«
    »Weil er ein alter Trottel ist, darum. Die Plutokraten benutzen ihn nur als Galionsfigur. In Wahrheit verachten sie ihn.«
    Sie rasten durch das Foyer, wo der Diener in Militäruniform auf einem Stuhl neben der Tür saß. Astor ignorierte ihn und öffnete selbst die Tür.
    Ihre Mutter sprach noch immer, auch wenn sie nun etwas außer Atem war. »Das habe ich mir schon gedacht. Niemals hätte er sich früher zu so etwas hergegeben. Aber jetzt versucht er, sich dadurch wieder Respekt zu verschaffen … den Kriegshelden zu spielen … der Mann zu sein, der er einst war …«
    Die letzten Worte waren vom oberen Treppenabsatz aus gesprochen, als Astor gerade auf den Bürgersteig sprang.

• 73 •
    Astor hastete den Weg zurück, den sie

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