Sonnenkoenig
Scheiben waren abgedunkelt. Auf die Entfernung erkannte er nicht,
wer im Wagen saß. Es war ihm gleichgültig, seine Gedanken waren ausschließlich
bei Lena. Um ins Krankenhaus zu gelangen, musste er zunächst eine viel
befahrene Straße überqueren. Er stand am Rande des Gehwegs und wartete auf eine
Lücke. In diesem Moment traf ihn ein Schlag auf den Hinterkopf. Mit einem
Aufschrei sackte er zusammen und bekam nur noch mit, wie ein Wagen am Bordstein
hielt. Er verlor das Bewusstsein.
III. Sie haben keine Wahl
»Das verstehe ich
jetzt nicht, Frau Cosian.« Oberstaatsanwalt Ströcker war sauer. Erneut wollte
sie ihm einen Bären aufbinden. »Sie haben heute Vormittag doch definitiv
zugesagt, mir die CD zu übergeben. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?«
Ströcker war kurz davor, zu explodieren. Er hatte alles in die Wege geleitet.
Der Haftbefehl war beantragt, das MEK für morgen früh bestellt. Jetzt fehlte
nur noch diese verfluchte CD. Ohne die würde der Richter den Haftbefehl nicht
unterschreiben.
Carla saß zusammengesunken in Beppos
Büro. Sie schaute unter sich, massierte geistesabwesend ihr rechtes
Ohrläppchen. »Das kann ich Ihnen nicht sagen«, murmelte sie kaum verständlich
vor sich hin. Es war eine merkwürdige Situation. Duplizität der Ereignisse
nannte man das wohl. Als Ströcker vor zehn Minuten den Raum betrat, hätte es
Carla fast vom Hocker gehauen. Thomas Ströcker oder einfach nur Tom stand vor
ihr und war der Oberstaatsanwalt. Mit einem Schlag war der Abend auf Julias
Terrasse wieder in ihrem Kopf. Heute musste sie ihm erneut, wie damals, etwas
vorspielen. Allerdings wirkte er zunächst völlig ruhig. Er ließ sich nichts
anmerken. Oder hatte er es vergessen? Natürlich nicht. Sicher hatte er sich im
Gegensatz zu ihr auf das Treffen vorbereitet und entschieden, den blamablen Abend
von vor vier Jahren einfach zu ignorieren. Schließlich war er Profi. Jetzt
allerdings schien er seine Professionalität zunehmend zu verlieren. Zweimal von
derselben Frau gelinkt zu werden, war selbst ›einfach nur Tom‹ zu viel.
»Sagen Sie etwas«, zischte der
Oberstaatsanwalt Beppo an. Dieser hob nur fragend die Schultern. Carla schaute
immer wieder auf die große Wanduhr. Es war kurz nach 16 Uhr. Noch zwei Stunden!
Bis heute Vormittag war eigentlich alles klar gewesen. Sie hatte nur noch eins
gewollt, die verdammte CD loswerden und endgültig einen Schlussstrich ziehen.
Bis sie diese Nachricht erhielt.
Als Carla
aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Immer wieder war sie aus dem Schlaf
hochgeschreckt. Hatte sich auf der quietschenden Pritsche hin und her gewälzt.
Hatte sie nicht das schmerzende Gesicht geweckt, waren es grässliche Albträume
gewesen. Irgendwann brachte ihr jemand eine Art Frühstück. Sie bekam keinen
Bissen hinunter. Sie schlürfte lediglich an dem faden Kaffee, der sie an ihre
Kindheit und den Geschmack von Caro-Kaffee erinnerte. Nur schlechter. Wieder
war sie eingeschlummert. Wieder wachte sie auf. Dieses Mal, weil eine Beamtin
die Zellentür aufschloss und sie aufforderte, mitzukommen. Zusammen gingen sie
über lange, kahle Flure durchs Präsidiumsgebäude. Im Parterre schob die
Polizistin sie in einen Raum, an dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift
›Ausgabe‹ hing. Eine Art Tresen halbierte das Zimmer. Dahinter Regale. Eine
grauhaarige Frau in dunkelblauer Uniform, die ihre Haare streng nach hinten
gebunden hatte, empfing sie.
»Carla Cosian«, sagte die
Polizistin und baute sich an der Tür auf. Die Grauhaarige ging auf eins der
Regalfächer zu und zog einen grauen Kunststoffkasten heraus. Sie stellte ihn
auf den Tresen, nahm eine Liste, die oben auflag, und las vor. Jeden
Gegenstand, den sie nannte, suchte sie in der Kiste, nahm ihn heraus und legte
ihn vor Carla hin. Carla war eher unaufmerksam. Sie war nur froh, wieder an die
frische Luft zu kommen. Es war von Kommissar Wanninger gut gemeint gewesen, sie
hier einzuschließen, sie hatte auch zugestimmt. Dennoch, eine Nacht war genug.
Die Beamtin hielt Carla die Liste hin. Sie quittierte den Empfang ihrer
persönlichen Gegenstände. Carla fröstelte. Den Gürtel steckte sie in die
Handtasche. Sie verabschiedete sich kopfnickend von den beiden Frauen, die ihr
einen schönen Tag wünschten.
Auf Wanningers Kaffee
hatte sie sich gefreut. Schon nach den ersten Schlucken spürte sie, wie eine
behagliche Wärme in ihr aufstieg.
»Spezialmischung: Lässt Tote
wieder auferstehen und holt Gefangene in die
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