Sonst kommt dich der Jäger holen
diesen Gletschereisbonbons. Hilfe holen? Wo? Die Villa mit dem hohen Zaun und den Kameras war in Sichtweite. Lieber einen Notruf per Handy absetzen?
»Hallo«, sagte ich erst mal. Hallo war immer gut. Freundlich und alltäglich, den Ball schön flach halten. Ein Mörder würde nicht Hallo sagen. Also in der Regel. Es mochte durchaus solche geben, aber die hatten ihr Verbrechen geplant und wollten ihr Opfer in falscher Sicherheit wiegen. Ich hatte keinen Plan, wie immer war ich nur zufällig vorbeigekommen.
Flipper schwenkte die weiße Fahne und machte Platz, um unsere friedliche Absicht zu beweisen, drehte sogar Verlegenheit demonstrierend den Kopf weg. Das ließ einen Verdacht in mir keimen. Hatte er etwas gutzumachen? Hatte er die Frau hinter den Holzstapel gehetzt? Manche Menschen haben panische Angst vor Hunden. Die können in Gegenwart eines Hundes nicht mehr klar denken und verfallen in Schreckstarre. Wo kam diese Frau überhaupt her? Im Wald lief man doch nicht so rum! Leopardenmini, knallrote High Heels, die sie verkrampft in der Hand hielt, schwarzer Body, tief ausgeschnitten, ein Dekolleté wie Milch und Honig und darauf das hässlichste Tattoo der Welt: ein grob gezeichneter Pferdekopf.
Die junge Frau sagte kein Wort. Starrte in die Büsche rechts von uns. Und zitterte.
»Flipper, hier«, befahl ich leise, obwohl sich in mir mittlerweile ziemlich viel Druck aufgebaut hatte. Angenehmer wäre es gewesen zu rufen. Doch damit hätte ich die Frau erst recht eingeschüchtert. Vor ängstlichen Menschen bin ich lieber leise, sonst kriegen die noch mehr Angst, weil das den Eindruck vermittelt, die Besitzerin hätte ihren Hund nicht im Griff. Flipper setzte sich an meine Seite und schaute abwartend von der jungen Frau zu mir.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich.
Keine Reaktion.
Jetzt fehlt mir nur noch Sepp Friesenegger, dachte ich, und als ich die knackenden Zweige hörte, war ich sicher, gleich würde er auftauchen und mich abermals ohne Leine erwischen. Doch er war es nicht. Es waren die Kollegen von Felix. Zu dritt kamen sie den Trampelpfad entlang. Zwei kannte ich schon von unserem unhöflichen Treffen vor der hohen Mauer, der dritte trug einen dunkelgrauen Anzug mit rotem Hemd. Auch nicht unbedingt die passende Aufmachung für einen Waldspaziergang. Flipper knurrte leise. Das musste ich ihm abgewöhnen, Polizisten anzuknurren, damit brachte er sich in Gefahr.
Die junge Frau duckte sich. Mädchen, dachte ich. Denn das steckte in ihr drin, hinter all der Schminke. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie sich die Augen zugehalten hätte, damit sie nicht mehr da wäre, doch die türkisen Seen traten über die Ufer.
Einer der Männer, deren Bekanntschaft ich bereits gemacht hatte, ging mit schnellen Schritten zu dem Mädchen, riss sie am Arm grob nach oben, versetzte ihr einen rüden Stoß. So was kann Flipper nicht ausstehen. Zu Recht, wie ich finde, egal, ob Polizist oder nicht. Mit einem Satz sprang er dazwischen. Und hätte beinahe den Fußtritt eingesteckt, den der Kerl für ihn aufbewahrt hatte seit dem letzten Mal. Doch der Kerl hatte kein Augenmaß und verfehlte Flipper. Die Absicht zählte. Ich schnellte vor.
Eine Stimme, leise und scharf wie eine Rasierklinge, fuhr dazwischen. Ich starrte den Mann mit dem roten Hemd an. Er war in meinem Alter, und das Erste, was mir zu seinem Gesicht einfiel, war Asket. Tief liegende Augen. Grün. Intensiver Blick. Hervorstechende Wangenknochen. Adlernase. Schmale Lippen. Interessanter Typ. Und gefährlich. Ein Flirren um ihn. Der Wald, der Heilige Berg, das Mädchen und die Polizei – was wurde hier gespielt? Der Asket war kleiner als die Bodyguards, knapp eins achtzig, doch instinktiv scannte ich ihn als meinen Hauptgegner ein, und dass er ebenbürtig war, merkte ich daran, dass er meinen nicht durchgeführten Angriff taktisch klug parierte, Körperspannung abließ, lächelte. Beziehungsweise den Mund in Lächelform verzerrte.
Eines der Muskelpakete sagte etwas, und erst jetzt begriff ich, dass sie nicht deutsch redeten. Also waren sie auch keine Polizisten, die in Zivil großräumig die Umgebung des Tatorts observierten.
Der mit dem roten Hemd wandte sich mir zu. »Danke, dass Sie unsere Schwester gefunden haben«, sagte er mit osteuropäischem Akzent.
»Das ist Ihre Schwester?«, rief ich überrascht.
Der Asket verkrampfte sein Gesicht erneut zu einem Lächeln. Diesmal galt es der jungen Frau. Bei so viel Fürsorge wurde mir ganz kalt ums
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