Sophia oder Krieg auf See
Lebens, die er kaum richtig gewonnen, auch schon wieder verloren hatte.
Seine Augen wurden feucht und verzweifelt rüttelte er an der schnarchenden Wut in der Hoffnung, dass diese ihm helfen würde, nicht auf der Stelle heulend zusammenzubrechen. Aber die Wut schlief oder war tot oder was auch immer und das Fürchterliche mit der Peitsche hatte offensichtlich noch andere Verpflichtungen und war ohne sich zu verabschieden gegangen.
Es dauerte einige Herzschläge bis Jonathan bereit war das Wagnis einzugehen, wieder einen ganzen Satz zu formulieren. »Ich habe mir geschworen«, bekannte er mit wackliger Stimme, »nicht zu ruhen, bis die Piraten, die meinen Bruder und meinen Vater umgebracht haben, zu meinen Füßen liegen. Kalt und tot. Und nun forderst du von mir, mit dir nach Gotland zu gehen? Um denen zu helfen?«.
»Nein«, offenbarte Sophia noch leiser als zuvor und Jonathan verstand plötzlich, dass Sophia schon lange diesen Moment hatte heraufziehen sehen. »Das fordere ich nicht von dir. So wie du von mir nicht fordern wirst, mein Haus, meine Familie zu verraten«.
Jonathan schüttelte langsam den Kopf. Die vermeintlich sichere Mauer um die schwarze Wand und das schwarze Seelenloch war nichts weiter als ein dämlicher Vorhang gewesen. Ein Vorhang mit vielen lustigen Blumen, ein Vorhang, der jetzt in Fetzen hing. Der Verlust von Corin und Vater Giles hatte eine bissige, tollwütige Einsamkeit auf Jonathan gehetzt. Sophia hatte es geschafft, das Biest an der Leine zu halten. Bis jetzt.
Jonathan riss den kaputten Vorhang mit den bekloppten Blumen fort und sah die Leine aus Sophias Hand gleiten.
»Gott segne dich«, flüsterte Sophia und strich sanft über Jonathans Wange. Sie umarmte ihren Leibritter so fest, dass Jonathan vermutet hätte, Sophia wolle einen Extrakt aus ihm herauspressen, aber Jonathan war genug damit beschäftigt die Umarmung zu erwidern.
»Versprich mir, dass du nicht zu lange dort bleiben wirst«, wisperte Jonathan mit stockender Stimme. Sophia lächelte nur. Sie gab Jonathan einen Kuss, an den er sich noch in zehntausend Jahren haarklein würde erinnern können, selbst dann noch, wenn er in der Zwischenzeit sämtliche atmenden Wesen mit ein bis sechs Beinen auf dieser Erde vollständig abgeküsst hätte, was aus Zeit- und Hygienegründen allerdings nicht auf seiner Agenda stand.
Dann drehte Sophia sich um und stürmte hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen.
»Marschall Wells!«, hörte Jonathan sie noch rufen, »halten Sie mein Schiff bereit«.
*
Die Sonne war bereits ein gutes Stück über dem Horizont aufgegangen und Sophias Schiff hatte inmitten eines kleinen Flottenverbandes den Hafen verlassen.
Von einem nahen Hügel aus sah Jonathan zu Pferd die Schiffe aus dem Hafen gleiten. Der Ex-Leibritter hatte leichtes Gepäck auf einen freundlichen Fuchsschimmel 101 geladen, nur die wichtigsten Dinge, die er in den letzten Wochen von Sophia bekommen hatte.
Viele Menschen liefen auf den Schiffen hin und her, und keiner war aus dieser Entfernung genau zu erkennen. Aber er musste keine Adleraugen haben um zu raten, wer die Gestalt an Bord des Flaggschiffs war, die auf dem Heckkastell stand und regungslos in seine Richtung schaute.
Es würde noch lange dauern, bis die Schiffe am Horizont verschwunden waren. Jonathan hatte viel Zeit.
»Herr«.
Jonathan sah sich um und erkannte Catharine zu Pferd und in Begleitung einer Wache. »Ihre Durchlaucht hat mir aufgetragen Euch dieses hier zu übergeben«. Sie reichte Jonathan eine Schriftrolle und er nahm das Pergament. »Es ist ein Empfehlungsschreiben an den Hochmeister des Ritterordens«.
Jonathan sah zu dem fernen Flaggschiff, auf dem der kleine Punkt namens Sophia stand und zu ihm hinüber blickte.
Möwen kreisten, weit, weit weg, über einem kleinen Fischerboot im Hafen. Das Meer verlor sich irgendwo in der scheinbaren Unendlichkeit. Es war gerade ein paar Stunden her, dass Sophia und er sich entschieden hatten, getrennte Wege zu gehen. Schon war alles so fern, so weit weg.
Jonathan spürte den Impuls seinem Pferd die Sporen zu geben, hinunter zum Hafen zu jagen, sich in das nächste Boot zu werfen und Sophia hinterher zu fahren. Egal wie das gehen sollte, denn er würde sicher keinem Segelschiff nachrudern können, aber er könnte einfach dem nächstbesten Fischer mit Segelboot eine Riesenszene machen, dass dort die Liebe seines Lebens dahinfuhr und er sie unbedingt einholen müsse. Er hätte dafür auch mit den Fäusten auf dem
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