Sophie Scholl
Unrechts-Strukturen des braunen Staates bloßlegte und das sie im Sommer während ihrer mittäglichen Pausen von der Fabrikarbeit schon Hans Hirzel zur Lektüre empfohlen hatte.
Nach ihrer Verhaftung im Februar hat Sophie Scholl in den Vernehmungen durch die Gestapo klar benannt, was sie und die anderen zum Handeln bewogen hat: »Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, und dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist.« Man musste etwas gegen das sinnlose Blutvergießen unternehmen. Als »weiteren und hauptsächlichsten Grund« für ihre Abneigung gegenüber dem Nationalsozialismus führte sie an, »dass nach meiner Auffassung die geistige Freiheit des Menschen in einer Weise eingeschränkt wird, die meinem inneren Wesen widerspricht«. Das Ziel: »Ich war mir ohne weiteres im Klaren darüber, dass unser Vorgehen darauf abgestellt war, die heutige Staatsform zu beseitigen und dieses Ziel durch geeignete Propaganda in breiten Schichten der Bevölkerung zu erreichen.«
Während Sophie Scholls Zeit zu einem großen Teil mit »Propaganda-Arbeit« gefüllt war, vernachlässigte sie das Briefeschreiben nicht. Das Private wurde dem Politischen nicht geopfert. Es kostete Kraft, eine so breite Korrespondenz aufrecht zu erhalten. Doch es muss Sophie Scholl viel bedeutet haben, mit denen in Verbindung zu bleiben, die ihr nahestanden – Fritz Hartnagel, Lisa Remppis, ihr Bruder Werner, auch Waldemar Gabriel gehörte inzwischen dazu, um nur die wichtigsten zu nennen. Und Otl Aicher. Er war im Spätherbst in Russland an Gelbsucht erkrankt und wurde, wegen der großen Ansteckungsgefahr, in ein Lazarett weit hinter der Front eingewiesen. In einem verwegenen Unternehmen gelang es ihm, unbehelligt immer weiter nach Westen transportiert zu werden. Otl Aicher landete schließlich im November in einem Lazarett im österreichischen Bad Hall, von katholischen Schwestern treu umsorgt. Er hatte gute Aussichten, nach der Genesung ein paar Urlaubstage zu erhalten.
Am 1. Dezember hatte ihm Sophie Scholl nach Bad Hall geschrieben: »Jedenfalls werde ich nach Ulm kommen, wenn Du dort bist. Und Du ja auch nach München – Ich freue mich sehr, dass Du kommst, denn ich habe manches auf dem Herzen. Vielleicht brauchst Du dann gar nimmer zurück.« Da war sie wieder, die verschlüsselte Erwartung auf ein baldiges Ende des schrecklichen Krieges und auf ein neues Leben in Freiheit. Da Otl Aicher sich von neuem ansteckte, musste er weitere Wochen in Bad Hall verbringen. Am 11. Dezember kündigt Sophie Scholl ihren Besuch an: »Ich habe vor, am übernächsten Samstag-Sonntag, ich glaube, es ist der 19. und 20. zu Dir zu kommen. Ist es recht?« Über seinen letzten Brief habe sie sich sehr gefreut. »Den gestrigen Tag haben wir bei Professor Muth verbracht. Was werden wir uns alles zu erzählen haben.«
Am 20. Dezember 1942 schreibt Willi Graf ins Tagebuch: »Spät noch zu Hans und Alex; wir trinken Tee und Cognac, reden und planen.« Es ist der letzte Tag vor den Weihnachtsferien. Willi Graf wird, nach Absprache mit der Gruppe, über die Feiertage in seine saarländische Heimat reisen und versuchen, dort Gleichgesinnte für weitergehende Flugblatt-Aktionen zu gewinnen. Sophie Scholl ist bei dieser letzten Besprechung im alten Jahr in der Franz-Joseph-Straße nicht mehr dabei. Sie hat sich an diesem Tag auf den Weg nach Bad Hall gemacht.
ZWEI SCHWESTERN – ZWEI PAARE
Jahreswende 1942/43
Anfang November hatte Sophie Scholl in ihrem Nachttisch einen ungeöffneten Brief von Waldemar Gabriel entdeckt, nach seinem Besuch in Ulm geschrieben. Er hatte – als kleine Anspielung? – einen Kamm hineingelegt. Freimütig-ironisch bedankte sie sich: »Ich besitze oder besaß keinen … von dieser traurigen Seite kennst Du mich ja schon.« Eine gute Woche später, am 13. November, sitzt sie wieder über einem Brief an Waldemar Gabriel, aber diesmal von Empörung erfüllt. Obwohl ihr der Kopf brummt und es schon spät am Abend ist, muss Sophie Scholl noch dringend etwas loswerden – »vielleicht kommt noch eine klarere Abrechnung nach, wenn wir das nicht mündlich erledigen können«. (Sie erwartete ein Wiedersehen mit Gabriel in München.) Der Anlass: Sophie Scholl hatte Waldemar Gabriel einen Michelangelo-Aufsatz von Otl Aicher geschickt, und seine Deutung fand keine Gnade vor ihren Augen: »Ach Waldemar, mit welchem Recht bezeichnest Du Otl als einen modernen Heiden? … Ich selbst
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