Spaghetti in flagranti
wiedergutzumachende Beleidigung darstellte, ihr großzügiges Angebot auszuschlagen, hatte Gaetano seinen jüngeren Bruder schier schwindlig geredet – mit Erfolg. Wenn es um Liebe ging, war er nun mal kaum zu schlagen. Dafür würde ich ihm in nächster Zeit so manchen Machospruch verzeihen.
Ich für meinen Teil war selig und hätte mein Zimmer für Otto am liebsten sofort geräumt. Wir einigten uns allerdings auf den nächsten Tag, und nachdem Otto gegangen war, fing ich an, die Stunden bis dahin zu zählen.
9.
Endlich ungestört!
Ich saß eng an Otto gekuschelt auf der gewölbten Holzbank des Ruderboots und ließ mir die Frühlingssonne ins Gesicht scheinen. Wir schaukelten schon eine ganze Weile mit eingeholten Rudern auf den Wellen und genossen es, für uns zu sein. Seine Lippen schmeckten salzig, und wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir ewig hierbleiben können. Die Momente der Zweisamkeit, die uns so selten vergönnt waren, kamen mir dadurch umso kostbarer vor. So kostbar, dass ich mir schier die Zunge blutig biss, um nicht die typischste aller typischen Frauenfragen zu stellen und damit den Zauber des Augenblicks zu zerstören.
»Sag mal, liebst du mich eigentlich?«, verharrte daher artig in meiner Kehlkopfregion und wartete auf Freigabe. Noch war es dafür zu früh, das spürte ich ganz genau. Bayerische Männer schienen in der Hinsicht nicht ganz so schnell zu sein wie die italienischen Gigolos, was mich einerseits etwas befremdete, mir andererseits jedoch sehr gut gefiel. Aussprechen könnte Otto den Satz aller Sätze trotzdem langsam mal, fand ich. Jetzt zum Beispiel …
Nun ja, alles zu seiner Zeit. Immerhin war Otto am Ostermontag bei uns eingezogen, da die Betreiber der Pension das Heizungsproblem nicht in den Griff bekommen hatten. Die Wärmepumpe war kaputt, musste ausgetauscht werden, und das dauerte. Mamma war überglücklich über den deutschen Gast, den sie nach Strich und Faden verwöhnte und bekochte. Sie vergötterte ihn geradezu, was babbo alles andere als erfreute. Dennoch verhielt er sich ungewöhnlich still. Auffällig still, wenn ich recht darüber nachdachte. Wenn er dafür mal nicht seine Gründe hatte …
Auch ich war selig, dass ich meinen Freund nun jeden Tag sah und nicht mehr warten musste, ob er sich meldete. Bis Otto tatsächlich seinen Riesenrucksack bei mir unters Bett geschoben und seine Klamotten in die freigeräumten Fächer in meinem Schrank gelegt hatte, hatte ich allerdings nicht daran geglaubt.
Auch jetzt, eine gute Woche später, kam es mir immer noch vor wie ein Traum, dass wir nun auch räumlich vereint waren. Natürlich waren wir zu Hause nur selten für uns, da wie üblich ständig jemand die Nase zur Tür hereinsteckte. Deshalb hatten wir die Strategie gewechselt und waren so oft wie möglich unterwegs, sobald Otto freihatte. Das Wetter unterstützte unser Vorhaben nach Kräften, denn seit einigen Tagen war es geradezu frühsommerlich warm, dabei hatten wir erst Ende März. Wir hatten den herrlichen Sonntag genutzt und waren gleich nach dem Frühstück aufgebrochen, um so viel Zeit wie möglich draußen zu verbringen.
Eigentlich war ich überhaupt kein Naturmensch und hatte mich zeit meines Lebens in Boutiquen und Bars deutlich wohler gefühlt als im Freien. Die Ausflüge mit Otto jedoch genoss ich in vollen Zügen. Ich konnte stundenlang mit ihm am Strand entlanglaufen, dicht neben ihm auf einem Badetuch faul in der Sonne liegen oder das Hinterland erkunden und kam dabei in Orte, die ich bisher nur vom Hörensagen kannte. Und das Beste daran war: Ich fühlte mich pudelwohl mit ihm.
Menschen ändern sich nun mal. Auch verwöhnte kleine Italienerinnen.
Otto hatte nicht schlecht gestaunt, als ich ihn am frühen Nachmittag an den Strand gelotst hatte, wo ein guter Freund von mir eines seiner Ruderboote direkt am Ufer für uns bereitgestellt hatte. Ich liebte es, ihn zu überraschen, und konnte mich nicht sattsehen an dem Gesicht, das er in solchen Momenten machte.
Auch jetzt musste ich mich zurückhalten, um ihn nicht die ganze Zeit anzustarren. Ich war so was von verliebt in diesen Mann, dass es kaum zum Aushalten war. Und ganz offensichtlich ging es ihm genauso.
Mit ihm war alles so anders als bisher. Allzu viel Beziehungserfahrung hatte ich ja nicht, aber wenn ich an meinen Exfreund Gianmarco dachte, dann war das kein Vergleich. Natürlich hatte er mir den ganzen Tag Komplimente gemacht, mich ständig »bella« genannt und sich auch sonst
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