Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
Lippen. Die Sonne, die sich in der letzten Stunde kaum vom Fleck gerührt hatte, brannte ihm auf den Kopf.
    Schließlich geriet etwas in Bewegung. Ein leichtes, kaum wahrnehmbares Zittern lief über die elastische Wasseroberfläche. Die Rampe vibrierte schwach.
    Martin erhob sich, knetete seine steifen Beine und gab sich den Anschein eines gelassenen, selbstsicheren und nichts im Universum fürchtenden Menschen.
    Zehn Meter von der Rampe entfernt tauchte aus dem Wasser eine durchsichtige, glasartige Kugel von der Größe eines Kleinbusses auf. Die Membran der Kugel unterschied sich kaum vom Wasser, weshalb es so aussah, als steige vom Grund eine monströse, mit durchsichtigem Gas gefüllte Blase auf.
    In dieser Blase ließen sich indes zwei Figuren erkennen, von denen eine menschlich war.
    Martin wartete, bis die über die Wasseroberfläche gleitende Kugel sich der Rampe näherte und sich öffnete, indem sie sich in eine halbtransparente dunkelblaue Untertasse verwandelte. Er winkte Irina Poluschkina zu, die neben einem zwei Meter großen Bessarianer stand.
    Der Körper des Außerirdischen war durchscheinend, zeigte nicht einmal ansatzweise jene hellblaue Tönung, welche die Substanz aufwies. Im Grunde handelte es sich bei ihm um einen riesigen lebenden Tropfen. Die Organellenknäuel, die frei in dem flüssigen Körper schwammen, verbanden sich nicht einmal untereinander. Der Körper des Außerirdischen bestand aus Wasser, wässrig war auch sein Blut.
    Die Bessarianer waren Amöben – die einzige intelligente einzellige Lebensform.
    »Friede sei mit euch!«, begrüßte Martin sie. Er konnte den Blick nicht von dem Bessarianer wenden, während in seinem Innern unwillkürlich Angst aufkeimte. Eine Angst, ohne Grund und Anlass, eine wilde, mit Widerwillen, ja, gar mit Ekel vermengte Angst.
    Der durchsichtige Schlauch schwabbelte und kroch vorwärts, ohne dabei seine – wenn man so will – vertikale Stellung aufzugeben. Die schwarzen Klumpen der Sehnerven bündelten sich in der Martin zugewandten Körperfläche. Zwischen ihnen zeigte sich eine dunkle Scheibe, die Membran eines Resonators. »Friede sei auch mit dir, Mehrzeller! Gluck, gluck, gluck«, sagte der Außerirdische. »Friede sei mit dir, du geknechtete Kolonie meiner verstandeslosen Brüder! Gluck!«
    Eine weiche, melodische Stimme, eine feuchte Stimme.
    Die Amöbe ließ einen Pseudofuß in Martins Richtung schwappen – oder sollte man besser sagen eine Pseudohand? Mit zusammengebissenen Zähnen strecke Martin die Hand aus und berührte die Amöbe.
    Das unterschied sich in keiner Weise von der Berührung der Substanz. Eine kalte, staubige Berührung.
    »Friede sei mit dir, mein einzelliger Bruder«, wechselte Martin rasch in die Sprechweise der Bessarianer. Er schielte zu Irina hinüber. Lebte sie?
    O nein, noch schickte die Frau sich nicht an zu sterben. Lächelnd betrachtete sie Martin.
    »Unterdrückst du auch die Zellen nicht, die deinen Organismus bilden? Gluck, Genossen?«, fuhr die Amöbe fort. »Nimmst du keine chemischen Giftpräparate, die Amöben töten? Gluck?«
    »Christoph Gluck ist vielleicht dein Genosse!«, konnte Martin sich nicht verkneifen zu bemerken. »Was soll dieses Theater?«
    Die Amöbe packte ein leichtes Zittern, ihre Membran stieß ein hüstelndes Gelächter aus. »Normalerweise funktioniert das«, erklärte der Bessarianer. »Die Menschen verlieren die Nerven, sobald sie mit einer intelligenten Zelle sprechen.«
    »Über euren Sinn für Humor habe ich schon etwas gelesen«, teilte Martin mit. »O ja, mich beschleichen höchst unangenehme Empfindungen, nun, da ich mich zum ersten Mal mit einem Einzeller unterhalte.«
    »Willst du mich mit dem Ausdruck ›Einzeller‹ beleidigen?«, fragte die Amöbe beunruhigt.
    »Nein, es ist ein ganz normaler biologischer Terminus.«
    »Dann tritt in die Transportkapsel«, lud ihn die Amöbe ein. »Dein Genosse wartet schon lange auf dich.«
    Martin sah zu seinem »Genossen« hinüber. Die junge Frau sah überaus verführerisch aus. Seit Unzeiten hatte Martin nicht das Vergnügen gehabt, mit einem derart attraktiven Genossen zu verkehren. Irina trug wieder Shorts in Tarnfarbe und ein graues T-Shirt, ganz wie auf Bibliothek. Die unbeschuhten Füße und das hellblaue Band im Haar verliehen dem »Genossen« einen unterschwelligen, rustikalen Sexappeal.
    Gewiss, es wäre seltsam gewesen, von einer Amöbe ein Verständnis für geschlechtliche Unterschiede zu erwarten. Nebenbei bemerkt, war dies auch

Weitere Kostenlose Bücher