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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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– unter der Matratze – hatte er ihr Tagebuch gefunden, das mit einem winzigen Schloss gesichert war, welches sich mit dem Taschenmesser aufbrechen ließ. Das Tagebuch strotzte vor Tratsch, Skizzen prachtvoller Kleider, Erinnerungen an Küsse und leidenschaftliche Schwärmereien, langen Reflexionen über das Thema, ob man es vor der Hochzeit machen sollte, in die Überlegungen zum Sinn des Lebens und Schicksal der Menschheit eingeflochten waren. Aufgrund dieser Auslassungen ließ sich einwandfrei sagen, welches Buch das Mädchen kurz zuvor gelesen, welchen Film es gesehen hatte. Insgesamt hatte sie auf Martin den Eindruck von einer anständigen, ja, fast prächtigen Siebzehnjährigen gemacht.
    Dagegen hatte er keinen einzigen Hinweis darauf gefunden, warum das Mädchen durch das Große Tor gegangen sein und wohin sie sich begeben haben könnte.
    Noch immer starrte Martin auf den Bildschirm – sah jedoch keinen Planeten.
    Eine rotblonde junge Frau mit grünen Augen. Aus einer sehr gut situierten Familie. Geschlagen mit der Dummheit ihres Alters, doch von der Natur mit Verstand gesegnet. Wohin hatte es sie verschlagen?
    Eldorado … Dio-Dao …
    Nein.
    In die »Grenzwelten«, in die Menschen und Nichtmenschen aus den von den Schließern erschlossenen Welten in Massen strömten? In die strengen und weitläufigen Welten, die sich besiedeln ließen und noch niemandem gehörten, in die Welten, in denen man nach Gold suchen, Weizen anbauen, im Wald ein Haus erbauen oder ein richtiger Sheriff werden konnte? In die Welten, in die es Jungen vom zwölften Lebensjahr an zog?
    Nein.
    Etwas gefährlich Exotisches auf den Mutterplaneten der Außerirdischen. Die von den Schließern aufgestellten Bedingungen schränkten die Bewegungsfreiheit in keiner Weise ein … Gleichwohl gab es hinreichend Möglichkeiten, Fremde vom eigenen Planeten fernzuhalten. Hohe Preise für Unterkunft und Verpflegung, bürokratische Hürden bei der Ausstellung eines Visums, die übliche Kriminalität, bei der die Behören beide Augen zudrückten …
    Nein.
    »Du bist nicht aufs Geratewohl losgezogen«, sagte Martin, während er auf den Bildschirm starrte. »Irgendetwas hat dich gepackt.«
    Irgendetwas musste ihm entgangen sein. Ein zartes, kaum fassbares Detail im Charakter der jungen Frau, das sie gezwungen hatte, durch das Große Tor zu stürmen.
    Sex? Religion? Konflikte mit dem Gesetz? Nein, all das führte in eine Sackgasse. Sex hatte sie nicht einmal ansatzweise gehabt, ihr Glaube an Gott erschöpfte sich in Aussagen wie: »Natürlich gibt es eine Höhere Intelligenz«, die Strafverfolgungsbehörden warfen Ira nichts vor.
    Martin schloss die Augen, um in Gedanken noch einmal alle erhaltenen Informationen Revue passieren zu lassen. Das hier ist Irotschka am Strand mit einem Panamahut und einem Eimerchen, hier sitzt Irotschka am Pianino, hier absolviert sie das erste Jahr an einem renommierten College …
    Etwas ließ ihn innehalten. Das renommierte College. Die Ausbildung kostete dreieinhalbtausend pro Jahr. Tanz, Rhetorik, Psychologie, Aikido … Die Gabel halten wir in der linken Hand, in der Nase bohren wir mit der rechten …
    Spezialisierung auf Sprachen. Ira hatte erst Englisch und Französisch gelernt, später Latein und Griechisch, Deutsch und Spanisch …
    Die letzten beiden Jahre beschäftigte sich Irotschka mit dem denkbar idiotischsten Fach. Sie lernte Touristisch. Warum um alles in der Welt sollte man eine Sprache lernen, die einem bei der ersten Reise ins Bewusstsein eingespeist wird, als kleines und nützliches Geschenk der Schließer? Um der Etikette willen? Oder nur, weil jemand eine hervorragende Begabung für Fremdsprachen besitzt?
    Heiß! Sehr heiß!
    Lächelnd fuhr Martin mit dem Cursor nach oben. Rondo … Karassan … Ioll … Igelchen … Veno … Planeten, auf denen viele Menschen lebten, Planeten, auf denen viele Außerirdische lebten …
    Bibliothek.
    Eine Welt, die sich in den ersten beiden Jahren nach der Ankunft der Schließer großer Beliebtheit erfreute. Eine Welt, in die jede Rasse, die ein Großes Tor passieren durfte, begierig war zu gelangen. Eine Welt, die niemand brauchte. Eine Welt, auf der es praktischerweise nur ein Tor gab.
    Noch während Martin »Eingabe« drückte, zweifelte er nicht mehr daran, ins Schwarze getroffen zu haben.

Drei
     
    Die Station war nichts Besonderes, ein großes zweigeschossiges Gebäude aus Steinblöcken samt Leuchtturm. Dies durfte als untrügliches Zeichen dafür gelten, dass es

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