Spiel mir das Lied vom Glück
hinauf zum Mond. Kühn und hell schickte er sein Licht wie ein Kreuz in vier verschiedene Richtungen.
Ich gab Kakao und Mehl zur geschmolzenen Butter. Ich hatte nicht besonders viel Lust, über mein Leben nachzudenken. Manchmal würde ich am liebsten all meine Probleme, Sorgen und Ängste in einen Kasten packen, diesen irgendwo ganz tief in mir verstauen und den Deckel fest verschließen, nur um ein wenig Frieden zu haben, ehe der Deckel fortgesprengt würde und mir das nächste Problem ins Gesicht sprang.
»Sieh mal, Liebes, der Mondschein hat doch Glück«, sagte Lydia. »Der Mond wirft das Licht der Sonne zurück. Die Sonne ist im Verborgenen. Der Mond nicht. Er ist einfach da. Dort. Das Licht um ihn herum fordert dich auf, Licht auf dein eigenes Leben zu werfen.«
Ich wusste, was nun kommen würde. »Und was sagt dir das Mondlicht, Tante Lydia? Worüber denkst du nach?«
Tante Lydia hielt inne und schaute mich an. »Tatsächlich denke ich über dich nach.«
Ich versuchte zu lachen, aber es kam nur ein Schnauben heraus. »Ich dachte, beim Mondlicht sollten Frauen über ihr eigenes Leben nachdenken, nicht über das von anderen.«
»Du bist mein Leben, Süße.« Ihre Stimme war ungewöhnlich leise. »Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.«
Meine Hände hielten inne. »Dir verzeihen?«
»Ja, mir verzeihen.«
»Tante Lydia, was um alles in der Welt soll ich dir verzeihen?«
»Dass ich dich nicht entführt habe.« Sie warf ihre Zöpfe über die Schulter nach hinten und schmolz neue Butter für die Glasur der Windbeutel.
Ich hätte gelacht, doch da sie es so ernst sagte, tat ich es nicht.
»Ich hätte dich holen sollen, als du klein warst.«
»Hast du doch.« Meine Stimme klang erstickt. Ich wollte nicht in Tante Lydias Küche an meine Kindheit denken, während wir Schokoladenwindbeutel machten.
»Ich hätte dich holen und behalten sollen.« Vier Mal schlug sie mit dem Löffel auf den Topfrand: tock, tock, tock, tock.
»Hast du doch versucht«, brachte ich heraus. Ich war dreiunddreißig Jahre alt. Darüber musste ich doch hinweg sein!
»Ich weiß. Diese beschissene Schlampe!«, rief Lydia. Dann wischte sie sich übers Gesicht. Vier Mal war Lydia in meiner Kindheit unangekündigt aufgetaucht und hatte mich mitgenommen. Innerhalb weniger Tage stand die Polizei vor ihrer Tür und brachte mich zu meiner Mutter zurück. Die Beamten sprachen mit Tante Lydia über Sorgerecht, Entführung und so weiter. All mein Flehen und Betteln änderte nichts.
»Ich hätte dich mit nach Australien nehmen sollen.«
Australien. Ich hörte auf, die Schokolade umzurühren. Das wäre mal was gewesen! Kängurus, Korallenriffe und saubere Strände. Und keine Liebhaber meiner Mutter in der Nähe.
Ich stellte mir vor, wie ich Shawn und Carrie Lynn rettete und mit ihnen nach Melbourne flog. Das könnte meine einzige Möglichkeit sein.
»Wenigstens durfte ich dich in den Sommerferien besuchen.«
»Diese verdammte Schlampe«, brüllte Tante Lydia erneut.
»Deine Mutter ist so oft mit dir umgezogen, dass ich dich manchmal aus den Augen verlor. Sie wusste genau, dass ich immer wissen wollte, wie es dir ging, aber manchmal rief sie mich erst nach Wochen oder Monaten an.«
Mein Herz krampfte sich zusammen. Die Abschnitte meines Lebens, wenn Lydia nicht da war, wenn sie mich nicht anrief und mir keine Briefe oder Geschenke schickte, waren immer die schlimmsten gewesen.
In so eine Zeit war die Sache mit Zeke gefallen. Er war ein Freund meiner Mutter. Allerdings stürzte er sich tagtäglich auf mich, sobald meine Mutter zur Arbeit ging. Zum Abschied küsste sie Zeke leidenschaftlich vor meinen Augen, lächelte und sagte, ich solle ihm aus dem Weg gehen. Kaum war sie fort, kümmerte sich Zeke um mich.
Anfangs war alles ganz harmlos, und ich freute mich, dass er mich beachtete. Ich fand ihn nett. Einmal bürstete er mir das Haar, am nächsten Tag flocht er es, schlug vor, zusammen zu baden, später am Abend massierte er mir den Rücken. Eines Abends wanderten seine Hände überallhin. Er sagte, er würde meinen ganzen Körper massieren, ich solle mich entspannen und es genießen. Ich kann nicht älter als neun Jahre gewesen sein.
Die Rückenmassage war angenehm, doch als er begann, über meine damals schon sprießenden Brüste zu fahren, wurde mir schlecht. Ich versuchte, mich zu befreien, doch er drückte mich aufs Bett. Am nächsten Tag sagte ich ihm, dass ich nicht massiert werden wolle. Ich landete mit dem Gesicht nach unten auf dem
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