Spiel mir das Lied vom Glück
an. »Wenn du in Gefahr bist, darfst du nicht zögern, dich zu schützen, meine Liebe. Immer draufhalten.«
Na denn, dachte ich. Ich werde es versuchen. Bestimmt.
Bevor ich am nächsten Nachmittag vor Tante Lydias Veranda ohnmächtig wurde, hatte ich noch einmal Stashs und Lydias Mahnung in den Ohren.
Ich hielt ein in braunes Papier gewickeltes Paket in der Hand. Es war in Boston abgeschickt worden.
Ich wusste, wer es aufgegeben hatte.
Ich wusste, dass ich es nicht öffnen sollte.
Verschwommen erinnerte ich mich an Carolines Warnung.
Aber ein kranker, höriger Teil von mir machte das Päckchen so vorsichtig auf, als sei schon das braune Papier unglaublich wertvoll. Meine Finger zitterten, und der Tod raunte mir ins
Ohr: »Ich komme dich holen, Julia. Bald bist du bei mir an einem kalten dunklen Ort.«
In dem Karton war ein totes Huhn, in dessen Brust ein kleines Messer steckte. Es stank unerträglich. Ich ließ den Karton fallen.
Robert wusste Bescheid. Er hatte meine Mutter ausfindig gemacht. Er hatte mich gefunden.
Es war nur noch eine Frage der Zeit.
17
Er hat sich einen Anwalt genommen.« »Was?«
Über das rot-weiß karierte Tischtuch des einzigen Cafés im Ort starrte ich Katie an. Draußen regnete es wie aus Eimern. Das sei sehr selten, erzählten mir die Einwohner. Zu dieser Zeit im Sommer regnete es eigentlich nie.
Daves Vorarbeiter Stash sagte mir, das weise auf einen kalten Winter hin.
Tante Lydia behauptete, der Regen sei ein Zeichen, dass sich alle Frauen ändern, sich gegen ihre Unterdrücker erheben und vom Testosteron befreien sollten. Das junge Mädchen an der Kasse verkündete mir mit einer gewissen Bitterkeit, bestimmt hätte ihr Vater den Regen bestellt, damit sie nicht mehr mit ihrem Freund schwimmen gehen könne.
Katies Kinder waren in der Spielecke des Cafés, beschäftigten sich mit Bauklötzen, Puppen und einer Burg. Ich begrüßte alle mit einem Kuss und einer Umarmung. Sie hielten mich etwas länger fest als sonst und gaben mir feuchte Schmatzer.
»Hi, Hulia«, sagte Luke. »Heute habe ich vier T-Shirts und dreimal Unterwäsche an!«, verkündete er triumphierend.
»Wie schön für dich!« Ich drückte ihn.
»Juju!«, gluckste Logan. Er legte seine klebrigen Hände auf meine Wangen. Wie immer war er als Spiderman verkleidet.
Haley gab mir ebenfalls einen Kuss. Ihre Antennen mit den glitzernden violetten Kugeln trafen mich ins Gesicht.
Hannah wirkte blass und bedrückt. Sie war ganz in Schwarz
gekleidet. Sie sah mir in die Augen und drückte mich kurz. Ihr Blick flehte um Hilfe.
Katie lächelte ihre Kinder an, schickte sie spielen und senkte dann die Stimme. Während sie erzählte, pflückte sie eine Serviette auseinander. Neben ihrer Kaffeetasse lag schon ein Häufchen Papierfetzen. »Er ist gestern Abend zurückgekommen. Mit dem Taxi. Hat einfach die Tür aufgeschlossen und sich auf seinen alten Platz gesetzt.«
»J. D. ist also zurück«, stellte ich fest. Mein Magen verkrampfte.
Katie nickte, zupfte weiter an der Serviette herum. Ihr Blick huschte zum Eingang, als erwarte sie, dass ihr Mann jeden Moment ins Café gestürzt käme. Möglich war das durchaus. »Du hättest die Gesichter der Kinder sehen sollen. Hannah ist in Tränen ausgebrochen, Logan in sein Zimmer gelaufen. Luke hat sich zitternd hinter der Couch versteckt. Haley fing an zu hyperventilieren. Es war furchtbar!«
»Oh, Mann, ich dachte, der wäre für alle Zeiten weg«, sagte ich. Katies herrliches Haar sah schlimm aus. Als hätte sie es nicht mal gekämmt. »Du hast mir doch erzählt, er wäre in ein Motel gegangen und hätte sich dann eine Wohnung genommen, als er aus dem Krankenhaus kam.«
»Ihm ist das Geld ausgegangen«, erklärte Katie. »Er kam hinter mir her, auf Krücken. Er konnte kaum stehen, Julia, aber er wurde puterrot. ›Hör zu, Katie, du dumme Kuh!‹, rief er und fuchtelte mit einer Krücke herum. Luke fing an zu weinen, und Hannah stellte sich vor mich, um mich zu beschützen. Ich musste sie auf ihr Zimmer schicken. Ich hatte Angst, dass er sie schlägt.«
Ich schloss die Augen. J. D. hatte große Ähnlichkeit mit den Freunden meiner Mutter.
»Mit der Krücke schlug er eine Lampe kaputt, dann meine beste Schüssel. Er warf drei Teller gegen die Wand und schrie: ›Das ist mein Haus, ich wohne hier! Du kannst mich nicht
rauswerfen. Mein Anwalt sagt, ich habe genauso viel Recht hier zu leben wie du mit deinem fetten Arsch.‹
Er humpelte zu mir. Ich dachte, er wollte mich
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