Spiel mit dem Feuer
und fragte sanft: »Wen oder was können
Sie nicht finden, Jillian?«
Sie blieb stumm und schüttelte den
Kopf, als hätte sie den Gedankenfaden verloren. Die Angst schwand aus ihren
Augen, wurde von Verwirrung abgelöst. Sie schlotterte.
Ich schnappte mir eine Wolldecke von
einem Schaukelstuhl und ging so langsam auf sie zu, als näherte ich mich einem
verletzten Tier. »Wen oder was, Jillian?« fragte ich noch einmal.
»Den Koffer. Er war hier unterm Tisch.«
»Welcher Koffer?«
»Ihrer.«
Glennas? Ihre Sachen waren im Malihini
House.
Jillian fuchtelte heftig mit den Armen.
»Er war da drunter!«
Ich trat näher heran. »Jill, möchten
Sie nicht aufstehen und —«
»Er war hier! Ich muß ihn verstecken.
Und später schicke ich ihn dann... Kennen Sie sich mit Überseepaketen aus?«
O Gott, jetzt war sie völlig
ausgeflippt! Ich mußte sie beruhigen, sie ins Pali House zurückbringen. »Nein,
das nicht, aber ich kann es rausfinden.«
»Würden Sie das tun? Für mich? Und für
sie? Matt kann ich nicht trauen. Und Mutter auch nicht.« Sie lachte bitter.
»Der schon gar nicht.«
War »Mutter« Celia? Und wer war »sie«?
Ich tat noch zwei Schritte, kniete mich
neben Jillian, schlug die Decke um sie. Und roch Benzin.
Der Geruch kam von ihrem Haar und ihrem
Kleid. Schwach, aber unverkennbar.
Jillian hatte das Feuer gelegt?
»Jemand sollte ihn kriegen«, sagte sie.
Mein Gehirn war überlastet. Ich
wickelte die Decke fester um ihre Schultern, sagte mechanisch: »Wen?«
»Den Koffer!«
Noch mal von vorn, und ich hatte das
deutliche Gefühl, dass uns weitere Fragen meinerseits auch nirgendwo anders
hinführen würden. »Hören Sie«, sagte ich, »ich werde ihn finden. Ich versprech’s.
Und dann erkundige ich mich, wie man ihn am besten verschickt. Das geht schon
alles klar.«
»Das sagt Matt auch, aber ich glaub ihm
nicht. Er war klein. Ockerbraun. Mit einem Zahlenschloss, so einem mit drei
Stellringen. Werden Sie ihn auch bestimmt finden?«
»Ganz bestimmt.«
»Gut. Ich bin nämlich dafür verantwortlich.
Morgen bringen wir ihn dann auf die Post in Waimea. Dort kennt mich keiner.
Sonst kennen sie mich fast überall. Ich bin eine Wellbright.«
»Verstehe.« Ich umfasste ihre Unterarme
und erschrak, weil sie so dürr waren, und begann sie langsam hochzuziehen.
»Ich bin die Einzige, die sich drum
kümmert. Sie war nett zu mir.«
Glenna war nicht sonderlich nett zu ihr
gewesen, so viel hatte ich mitgekriegt. Wen in aller Welt meinte sie?
»Gut, dass Sie sich drum kümmern, Jill.
Jetzt aber erst mal nach Hause.«
»Hat Sie der Sturm überrascht? Er ist
so plötzlich losgebrochen. Das ist immer so, wissen Sie. Man muß die sicheren
Orte im Kopf haben, damit man unterkriechen kann.«
»Hier entlang, Jill.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass er im
Anzug war. Ich war so unruhig, deshalb bin ich losgegangen, den ganzen Tag
draußen rumgelaufen. Erst ein Stück den Weg entlang, dann wieder zurück zum
Wald. Ich bin einfach nur gelaufen... Haben Sie den Erntemond gesehen? So
merkwürdig.«
»Passen Sie auf, dass Sie nicht
stolpern.«
»Ja, ich muss aufpassen. Ich kriege
nämlich ein Baby, wissen Sie. Ich hoffe, es wird ein Junge. Ich will kein
Mädchen, keins mit Ridley-Blut. Mit denen stimmt was nicht.«
»Hier rüber, nicht auf der Straße
laufen.«
»Rede ich zu viel? Ich sage immer
Sachen, die ich nicht sagen sollte. Meinetwegen passieren schlimme Dinge. Sind
Sie in den Sturm geraten? Ich nicht. Ich wusste, wo ich hinkonnte...«
Ich hatte kaum angeklopft, als Matthew
auch schon die Tür vom Pali House öffnete. Während ich seine Frau aufgespürt hatte,
hatte er sich umgezogen — und auch geduscht, nach den Kammspuren in seinem
feuchten Haar zu urteilen. Als er Jillian sah, löste Erleichterung seine
Gesichtszüge.
»Wo haben Sie sie gefunden?«
»Im La’i Cottage. Darüber reden wir
später. Jetzt sollten Sie sich erst mal um sie kümmern.«
»Geben Sie mir ein paar Minuten.« Er
fasste sie am Arm und führte sie aus der Diele.
Ich ging ins angrenzende Wohnzimmer und
setzte mich in einen mächtigen Ledersessel. Ich war von den Geschehnissen des
Abends ausgelaugt, kaum noch in der Lage, kohärent zu denken. Ich schloss die
Augen, atmete tief durch und versuchte meinen Kopf leer werden zu lassen. Das
gelang mir zwar nicht ganz, aber nach einem Weilchen fühlte ich mich besser.
Matthew kam wieder, trat an die
Kredenz, wo ein Flaschensortiment aufgebaut war, und machte sich einen
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