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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Bruders.«
    »Und?«
    Er kramte seinen Haustürschlüssel hervor, den er allerdings nicht benutzen musste. Die Hausordnung, die man ihm beim Einzug ausgehändigt hatte, ermahnte die Mieter zwar, das Tor zur Straße nach zwanzig Uhr zu verschließen, aber daran hielt man sich hier ebenso wenig wie an das Verbot, Glasflaschen in den Hausmüll zu schmeißen.
    »Ich mache mir Sorgen um Benny«, sagte sie bestimmt, und Marc gewann eine ganz gute Vorstellung davon, wie diese resolute Person mit ihren Patienten umging. Ihr Tonfall wirkte professionell, ohne einschüchternd zu sein. Genau die richtige Mischung, um sich nicht bevormundet zu fühlen, aber autoritär genug, um nicht jede Anweisung in Frage zu stellen. Vermutlich war Leana keine einfache Angestellte, sondern die Oberschwester in ihrer Abteilung oder zumindest auf dem Weg dorthin.
    Er ging in den Hauseingang, und das automatische Flurlicht sprang an. Sie griff sich wieder die Tüte und folgte ihm.
    »Er hat mir gesagt, Sie haben ihm schon einmal das Leben gerettet.«
    »Ach ja?«, entgegnete Marc knapp.
    Tatsächlich hatte er Benny vor anderthalb Jahren mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne gefunden.
    Normalerweise trafen sie sich nur einmal im Jahr, zu Weihnachten am Grab ihrer Eltern. Doch an jenem Morgen hatte sein Handy drei Anrufe in Abwesenheit angezeigt, und auf seiner Mailbox befand sich eine kaum verständliche, von zerhackten Störgeräuschen überlagerte Stimme, die wie die seines Bruders klang. Nachdem Benny auf seine Rückrufe nicht reagiert hatte, war Marc damals einem spontanen Impuls gefolgt und zu ihm gefahren. Dort war ihm drastisch vor Augen geführt worden, dass die Nachricht auf seinem Anrufbeantworter ein Abschiedsgruß gewesen war.
    »Ich bin der Meinung, Sie hätten Ihre Aussage nicht zurücknehmen dürfen.« Sie blinzelte erneut. »Vor den Richtern, den Ärzten, meine ich.«
    Marc begriff immer noch nicht, worauf die merkwürdige Unterhaltung hinauslaufen sollte. Als er damals die Feuerwehr rief, um Bennys Leben zu retten, hatte er einen alten Trick angewandt, der stets dazu führte, dass ein Selbstmordkandidat sofort unter psychiatrische Aufsicht gestellt wurde. Er hatte behauptet, Benny hätte vor seinem gescheiterten Suizid auch ihn umbringen wollen, womit er zu einer Gefahr für die Allgemeinheit wurde. Zudem lag damit eine Straftat vor. Da Benny schon mehrere aktenkundige Selbstmordversuche hinter sich hatte, rechtfertigte die Gesamtschau der Umstände eine vorläufige Zwangsunterbringung in einer geschlossenen Anstalt. Marcs Lüge sollte den Zweck heiligen und seinen Bruder von der Straße holen, raus aus einem Umfeld, das ihn ganz offensichtlich immer tiefer in den Abgrund zog. Außerdem würde Benny in der Psychiatrie nicht so leicht an einen Gürtel oder eine Rasierklinge kommen und wäre endlich von Valka isoliert. »Hören Sie, mein Bedarf an Selbstmordgeschichten für heute ist wirklich gedeckt«, sagte er, während er seinen Briefkasten öffnen wollte, doch irgend ein Vandale musste das Schloss mit einem Schraubenzieher verbogen haben. Auch das noch. Der Schlüssel passte nicht mehr hinein, und so blieb der im Schlitz steckende Möbelprospekt die einzige Post, an die er herankam.
    »Wenn Sie also nichts dagegen haben, würde ich jetzt gerne Feierabend machen und … »
    »Ihr Bruder hat sich plötzlich so verändert«, unterbrach sie ihn. »Von einem Tag auf den anderen.« Sie hielt ihn am Ärmel fest, und er wollte sich schon losreißen, als das Licht erlosch. Das Intervall der Zeitschaltuhr war abgelaufen, und da der veraltete Schalter hier unten nicht wie sonst üblich mit Leuchtdioden ausgestattet war, dauerte es eine Weile, bis Marc sich zu ihm vorgetastet hatte. Als es endlich wieder hell wurde, fühlte er sich am Ende seiner Kräfte und sah sich nicht imstande, das Gespräch mit dieser merkwürdigen Krankenschwester abzubrechen. »Natürlich hat Benny sich verändert, er war schließlich in der Klapse«, setzte er an.
    »Davon rede ich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »All die Monate lang hat er sich gehen lassen. Wollte sich nicht rasieren, nicht essen, lag nächtelang wach. Er weigerte sich oft, sein Zimmer zu verlassen, wurde richtiggehend gewalttätig, wenn man ihn dazu aufforderte.«
    Marc nickte resigniert. Das war nichts Neues für ihn. Aus diesem Grund hatten die Ärzte Benny ja auch keine gute Prognose ausgestellt, und so war aus der vorläufigen eine langfristige Unterbringung geworden. »Aber

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