Spur ins Eis
Verlegenheit, Sean.«
»Dad, da sind Frauen …«
»Sprich leiser, verdammt noch mal. Niemand zwingt dich zu etwas. Wenn du unbedingt willst, kannst du ja die ganze Zeit in deinem Zimmer bleiben …«
»Was machst du denn ?«
»Ich ?« Devlin fiel der Name des älteren Mannes ein – er hieß Ken. »Ich weiß noch nicht.« Ken bewegte sich aus Devlins Sichtfeld, und Sean folgte ihm, sodass sie nur noch die leisen Stimmen hören konnte. »Pass auf. Du hast gehört, was Ethan beim Frühstück gesagt hat, oder ?«
»Ja.«
»Richte dich danach.«
»Ich kann hier nicht fünf Tage bleiben, Dad.«
»Hey, ich habe mir ein Bein ausgerissen, damit du mich auf dieser Reise begleiten kannst. Weißt du eigentlich, wie viele Jungs töten würden, um …«
»Ja, vielen Dank.«
»Jetzt warte doch mal. Ich wusste nicht, dass es …«
»Was hast du denn gedacht, als sie uns in Flugzeuge mit geschwärzten Fenstern verfrachtet haben ? Als sie uns nicht gesagt haben, wo es hinging ?«
»Hör zu, Sean, du bist jetzt hier. Du kannst hier nicht früher weg. Also mach das Beste daraus.«
»Und wie ?«
»Das ist mir egal … mach mir nur keine Schande.«
»Arschloch.«
Schritte hallten über den Boden der Bibliothek, und Devlin hörte, wie die Tür geöffnet wurde.
»Sean ! Komm zurück, Sean !«
Sein Vater lief ihm nach, und in der Bibliothek wurde es wieder still. Nur das Feuer im Kamin knisterte.
Devlin wartete ein paar Minuten, aber die Männer waren weg.
Sie öffnete die Kellertür und huschte in die Halle hinaus, ihren Parka und ihre Schneehose an sich gedrückt. In der Ferne hörte sie Stimmen, und aus den oberen Korridoren drang das Schlagen von Türen.
Sie wanderte in den Südflügel. Hier war es leer und still, nur die Deckenlampen summten.
Auch hier waren Gucklöcher in den Türen, und sie blieb an jedem stehen, um hindurchzublicken. In drei Zimmern saßen Frauen in dünnen Nachthemden im Bett und warteten.
Am Ende des Flurs befand sich ein leeres Zimmer, 119. Die Tür war offen, und sie trat ein.
Sie verstaute ihren Parka und ihre Schneehose in einer Kommode, ergriff die Pistole und hockte sich fünf Minuten lang unter das Guckloch, um ihre Angst und ihre Tränen zurückzudrängen.
46
Sie huschte zurück in den Flur, dann in den Alkoven und die Treppe zum ersten Stock hinauf. Sie war noch keine fünf Schritt weit gekommen, als sie Stimmen von oben hörte. Rasch drückte sie sich in den Alkoven und spähte um die Ecke. Der Flur war leer.
Durch das Fenster im Alkoven sah sie, dass es immer noch schneite. Die Äste der Schwarzfichten bogen sich unter der Schneelast, und selbst von hier drinnen konnte sie hören, dass manche Zweige unter dem Gewicht knackten.
Schließlich wagte sie sich auf den Flur hinaus. Sie blickte durch jedes Guckloch – auch hier lagen halb nackte Frauen im Bett und starrten teilnahmslos vor sich hin.
Hinter der Tür von 215 stöhnte jemand.
Devlin spürte einen Knoten im Magen. Ihr wurde übel.
Sie trat an die Tür und drückte das Ohr ans Holz.
Zigs Stimme : »Das gefällt dir, was, du böses Mädchen ?«
»Ja.«
»Überzeug mich.«
Durch die Tür hörte Devlin die Frau stöhnen.
»Ja, das ist … oh …«, sagte Zig. »Das ist besser, o Gott.«
Auf der Treppe von der Halle waren Schritte zu hören.
Devlin rannte zurück in den Alkoven und duckte sich in die Ecke. Ein Mann kam in den Flur.
Es war ein kleiner, untersetzter Mann mit dem Aussehen einer Bulldogge und kurzen blonden Haaren. Er hatte ein Gewehr umhängen.
Ab und zu blieb er stehen und schaute durch ein Guckloch. An Zimmer 215 blieb er ein wenig länger stehen.
Devlin drehte sich um und rannte die Treppe hinauf.
Die fünfte Stufe knackte unter ihrem Gewicht. Anscheinend kam der Mann ihr nach, denn sie hörte Schritte im Korridor unten.
Rasch lief sie an den Türen des zweiten Stockwerks vorbei. Sie versuchte, die Tür zu 308 zu öffnen, aber sie war verschlossen.
Offenbar war der Mann mit dem Gewehr ebenfalls auf die fünfte Stufe getreten, denn ein lautes Knacken hallte durch den Flur.
Die Tür von Zimmer 306 war offen. Mit klopfendem Herzen schlüpfte sie hinein. Automatisch blickte sie durch das Guckloch, stellte aber sofort fest, dass es umgekehrt eingebaut war und sie gar nicht so viel sehen konnte. Die Schritte des Mannes kamen den Flur entlang. Ob er sie wohl gesehen oder gehört hatte ? Sie wandte sich von der Tür ab und hockte sich in eine Ecke neben das Bett. Mit zitternden Händen hielt
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