Spuren in der Wüste
Nachrichten Sie befördern für Ih-
ren alten Freund, der Sie aber auch gleichzeitig sozusagen als Geisel genommen hat, und das seit Jahren schon, nicht wahr?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Irene wahrheitsgemäß. »Hin und wieder
werde ich aufgefordert, Umschläge, die keinerlei Adresse oder Be-
zeichnung tragen, von einem Ort zum anderen zu befördern. Das
ist alles.«
»Sind Sie zur Zeit im Besitz eines solchen Umschlages?«
»Nein.«
»Wenn Sie es wieder sein werden, wollen Sie uns dann benach-
richtigen?«
Sie zögerte. Sie dachte: Ich will am Leben bleiben. Plötzlich und
jäh. Und sie dachte: Ich muß jetzt vorsichtig sein.
»Sie verfügen gewiß über ein gutes Gedächtnis, Frau Blessing. Ich
werde Ihnen nun eine Telefonnummer nennen, die Sie sehr leicht
behalten werden, denn es sind die Geburtsdaten ihres verstorbenen
Mannes. Sie können diese Nummer in jeder unserer Großstädte
wählen, und man wird entsprechend Kontakt mit Ihnen aufneh-
men.«
»Und wenn ich nicht tue, was Sie von mir verlangen?«
»Oh, da gibt es einige Maßnahmen, über die wir verfügen könn-
ten. Und auch verfügen würden. Und ich wil Ihnen sagen, warum.
Es gibt zu viele Terroristen auf unserer eigentlich doch recht schö-
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nen Welt. Und wir sind sehr daran interessiert, sie zu bekämpfen.
Vor allem hier, in Berlin, aber auch anderswo.«
»Ich habe Ihnen aufmerksam zugehört; ich werde darüber nach-
denken.«
»Das genügt für den Moment«, sagte der so unwichtig und un-
scheinbar wirkende junge Mann und stand auf. Er trug seine Kaf-
feetasse ins Badezimmer, spülte sie, trocknete sie umsichtig mit
Kleenextüchern ab, warf diese in die Toilette, spülte sie weg.
Er ging mit einer höflichen Neigung des Kopfes, und er sagte:
»Ich wünsche Ihnen noch angenehme Tage in Berlin, Frau Bles-
sing.«
Irene zwang sich zur Ruhe, und sie zwang sich zur Überlegung.
Unter keinen Umständen wollte sie Werner Holt schaden. Unter
keinen Umständen die wenigen guten und glücklichen Stunden, die
sie mit ihm hier verbracht hatte, im nachhinein verderben.
Sie ging rasch ins Schlafzimmer. Das Wenige, was sie an Kleidung
mit sich führte, war rasch gepackt.
Sie trug ihren kleinen Koffer selbst, als sie im Aufzug in die Halle fuhr.
Sie bezahlte die Hotelrechnung, nahm sich draußen ein Taxi, ließ
sich zum Bahnhof fahren.
Von dort nahm sie ein anderes Taxi zum größten Kaufhaus. Sie
kaufte sich einen unmodischen dunkelblauen Mantel, sie kaufte
sich einen dunkelblauen Allerweltshut, unter dem sie ihr auffallen-
des Haar ganz verstecken konnte.
In den Waschräumen des Kaufhauses zog sie sich um. Verstaute
ihren kleinen Koffer in einer großen Plastiktasche des Kaufhauses.
Als Sie schließlich zum Flughafen fuhr und das nächste Flugzeug
nach Köln nahm, hätte selbst Werner sie nicht erkannt, es sei denn,
er wäre direkt auf sie zugekommen und hätte sie von Angesicht zu
Angesicht gesehen. Sie reiste unter falschem Namen; das heißt un-
ter Jims Namen, den sie vor sechs Jahren abgelegt hatte.
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ls Werner nach Hause kam, war es fast drei Uhr nachmittags.
AMutt hatte sein Mittagessen in der Röhre warm gestellt.
»Vater hat sich ein Stündchen aufs Ohr gelegt«, sagte sie. »Und
nun iß, Junge. Wenn's nicht Sommer wäre und endlich warm,
würd' ich sagen, du siehst richtig durchgefroren aus.«
Er sah seine Mutter an, und dann sagte er: »Irene ist weg.«
Sie lehnte sich auf ihrem Küchenstuhl zurück, faltete die Hände
im Schoß. Ihre Vogelaugen waren zuerst dunkel und schil ernd, aber
dann wurden sie weich und ein bißchen heller.
»Geht es dir wirklich so nah?« fragte sie schließlich.
Er nickte nur.
»Und wenn du einfach nach Hamburg zurückkehrst und denkst,
du hast geträumt?«
»Das kann ich nicht.«
»Wohin ist sie denn?« fragte seine Mutter.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Und ich weiß nicht ein-
mal, woher sie kommt. Ich habe nichts, nur ihren Namen.«
Seine Mutter blickte auf ihre Hände, öffnete sie, faltete sie wieder, betrachtete ihre Finger mit den abgearbeiteten Spitzen, den schon
ein bißchen rilligen Nägeln.
»Rück schon endlich mit der Sprache raus«, sagte Werner. »Du
weißt doch was?«
»Ich weiß, woher sie kommt«, sagte seine Mutter. »Ich hab' mir
ihren Paß in der Handtasche angeschaut.«
»Und du hast dir ihre Adresse gemerkt?«
»Ja.«
»Und warum hast du das nicht früher gesagt?«
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»Weil's mir überhaupt schwerfällt.
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