Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
vor dem Haus. Er fuhr mit Wasser und Magie, wie Karmelion, und machte einen ebensolchen Lärm wie meine Höllenkiste. Vier kalt blickende Gestaltwandler stiegen aus und kamen auf mich zu, Segeltuchtaschen in den Händen. Ich stand auf und ging beiseite, ließ sie zu den Knochen. Sie machten sich daran, die Gebeine ihrer Toten einzupacken, und sortierten sie derweil aus, handhabten die einzelnen Knochen dabei mit einer Sorgfalt wie ein Porzellanhändler seine kostbarsten Stücke.
Doolittle stieg aus dem Lieferwagen. Er trug einen Jeansoverall und hatte einen tragbaren M-Scanner dabei. Er hielt kurz inne, um ein paar Worte mit Jim zu wechseln, und ging dann zu dem aufgespießten Kopf.
Jim kam zur Veranda. »Curran will, dass du in die Stadt kommst.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Wenn ihr hier fertig seid, muss ich die Polizei rufen. Ihr habt eure Knochen wieder. Aber die Familie Ying hat es auch verdient, dass sie die Gebeine ihrer Tochter bekommt.«
»Und was soll ich Curran sagen?«
Doolittle riss den Zettel von dem Nagel herunter und drehte ihn hin und her. »Sieht aus, als stammte dieses Blatt aus einer Zeitschrift.«
Ich nahm den Zettel entgegen. Es war tatsächlich eine Seite aus Wolschebstwo i Kolduny – dem Magazin über »Zauberei und Hexenmeister«, über das Saiman sich lustig gemacht hatte.
»Kate?«, meldete sich Jim.
Ich wollte nur noch weinen. Wie hatte ich so dumm sein können? Ich holte den Almanach aus dem Haus und gab den Artikel über den Upir, den ich von Bono hatte, an Doolittle weiter. Er überflog den Text. »Hier steht, dass sich dieses Wesen von Menschenfleisch ernährt. Es paart sich mit Tieren und bringt Mischlingssöhne hervor, die weder Mensch noch Tier sind. Woher hast du das?«
»Einer von Ghasteks Gesellen hat es mir gegeben.«
»Ghastek wusste es«, knurrte Jim. »Er wusste es die ganze Zeit. Dem reiß ich das Herz raus!«
»Von dem Bedürfnis getrieben, einen Erben zu erzeugen, wird sich der Upir mit einer Frau paaren, die über Macht verfügt, denn nur eine Frau, die über Macht verfügt, vermag einen Upir auszutrage n … « Doolittle sah mich an. »Du kannst nicht hierbleiben, Kate. Du musst mitkommen.«
Ich machte den Mund auf, aber er brachte mich mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Wir sind sieben, und du bist allein. Wir nehmen dich mit, ob du willst oder nicht.«
Der Rudelrat saß auf Sesseln um einen Tisch. Mitten auf dem Tisch befand sich der Kopf von Jennifer Ying, den Doolittle als Beweismittel mitgebracht und unter einer mit Konservierungszauber versehenen Glashaube platziert hatte. Sie war stumme Zeugin all dessen, was hier gesprochen wurde. Daneben übertrug eine Freisprechanlage Saimans kühl klingende Stimme.
»Alle Upiri sind männlich. Die Geschichte dieser Art reicht sehr weit zurück. Sie waren wahrscheinlich ein integraler Bestandteil der Fruchtbarkeitskulte der frühen Agrargesellschaften der Bronzezeit. Während der Riten brachte man junge Frauen, welche die Göttin verkörperten, dem Upir dar, damit er seine Rolle als ihr Sohn-Gemahl spielen und mit ihnen kopulieren konnte. Diese Kopulationen führten natürlich oft zum Tod der Frauen, in welchem Falle der Upir den Ritus vollständig vollzog, indem er den Leichnam auffraß.
Der Beginn der Eisenzeit mit ihren patriarchalischen Götter-Helden markierte das Ende des Göttinnenkultes, und die Upiri zogen sich in Randgebiete zurück, vor allem in die riesigen Wälder des heutigen Russland. Die Upiri werden zwar von dem Drang angetrieben, sich fortzupflanzen, sind aber nur daran interessiert, ein mächtiges Männchen hervorzubringen, einen weiteren Upir. Weibliche Kinder kommen tot zur Welt. Sobald ein Sohn geboren ist, verfüttert der Upir die Mutter an ihr Kind und vertreibt es dann aus seinem Territorium. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass nur eine Frau von beträchtlicher magischer Macht in der Lage wäre, einen jungen Upir zur Welt zu bringen.«
»Und was ist mit den tierischen Kindern?«, fragte Curran.
»Der Upir paart sich mit jedem Tier, das anatomisch dazu in der Lage ist. Der dabei entstehende Nachwuchs ist, wenn auch lebensfähig, gemeinhin unfruchtbar. Ein einziger Upir kann über Dutzende derartige Dienerwesen verfügen. Und da sich diese agrarischen Fruchtbarkeitskulte sehr um das Thema der Regeneration, der Erneuerung, der Widergeburt drehten, verfügt so ein Upir wahrscheinlich über sehr große Selbstheilungskräfte. Meinen Quellen zufolge ist er immun
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