Stadt, Land, Kuss
würde ich ihn schlagen, ihm eine Ohrfeige verpassen und ihm den Ellbogen in die Rippen rammen, damit er endlich die Augen aufschlägt und mir mit einer sarkastischen Bemerkung antwortet. »Warum hast du nicht auf mich gehört? Ich hätte das schon geschafft.« Ich schaue auf die Aufnahmen von Alex’ Schädel auf einem Monitor an der Wand. Sie verschwimmen und fließen ineinander. Nein, ich hätte es nicht geschafft. Stattdessen würde ich jetzt an seiner Stelle hier liegen. Ich sollte jetzt hier liegen.
Ich ziehe einen Stuhl neben das Bett und setze mich hin. Ich weiß nicht, wie lange ich dort gesessen und in sein Gesicht gestarrt habe, als ich plötzlich spüre, dass jemand hinter mir steht. Ich drehe mich um und sehe Izzy, ihre Miene ist ernst.
»Wir sollten jetzt gehen«, sagt sie ruhig.
»Nur noch eine Minute.«
»Wir sollten jetzt wirklich gehen. Wir können später wiederkommen.«
Ich beuge mich vor und studiere erneut Alex’ Gesicht. Haben seine langen dunklen Wimpern nicht gerade ein winziges bisschen gezuckt? Ich bin so müde, dass ich meinen Augen nicht mehr trauen kann.
Ich nehme seine Hand und verheddere mich im Infusionsschlauch, der an seinem Handrücken festgeklebt ist, wo sich unter der Haut dünne, blaue Adern abzeichnen. Sein Daumen ist mit kleinen Silbernitratflecken gesprenkelt, und auf einem Fingernagel klebt ein getrockneter Blutrand. Ich drücke seine Finger, bis die Haut ihr geflecktes Muster verliert.
»Alex!« Bei seinem Namen schnürt sich mir die Kehle zu. »Alex. Wach auf!«
»Hören Sie auf, Maz. Er kann Sie nicht hören.« Izzy legt eine Hand auf meine. »Ich habe mit der Schwester gesprochen. Sie haben ihn in ein künstliches Koma versetzt. «
»Koma?«, keuche ich. Ich habe das Gefühl, als stürzten die Decke und die ganze Welt über mir ein, ich rieche den Rauch und spüre die glühende Hitze der Flammen.
»Maz?« Izzys Stimme dringt zu mir durch. »Sie wollen ihn später wieder aufwecken. Dann können sie Genaueres sagen.«
Tränen laufen mir über die Wangen, ich schaue aus dem Fenster zum Himmel auf, wo der Wind einzelne Strähnen aus weißen Zuckerwattewolken zupft und sie davonwirbelt. »Dann können sie Genaueres sagen.« Genaueres worüber?
Was wäre passiert, wenn ich auf meinen Verstand gehört hätte und nicht auf mein Gefühl? Wenn ich das einzig Richtige getan und gleich den Tierschutzbund angerufen hätte? Was, wenn ich nicht versucht hätte, alles selbst in Ordnung zu bringen, um wiedergutzumachen, was mit Cadbury passiert ist?
All diese Gedanken und noch mehr schießen mir während der Rückfahrt durch den Kopf.
»Ich würde gern am Buttercross Cottage anhalten«, sage ich.
»Was um Himmels willen wollen Sie denn da?«
»Ich muss nachsehen … Ich will mir sicher sein … Ich meine, vielleicht kommt Ginge ja zurück, und dann ist niemand da.«
»Sie reden wirres Zeug«, erwidert Izzy nachsichtig. »Sind Sie sicher, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist?«
»Würden Sie bitte aufhören, mich das ständig zu fragen? «, entgegne ich gereizt. »Ja, ich habe etwas getrunken und gegessen.« Zwei Tassen schwarzen Kaffee, ein halbes Käsebrötchen und eine doppelte Dosis Schmerztabletten. »Natürlich ist mit mir …« Ich gebe auf. Mit einiger Verspätung macht sich der Schock bemerkbar. »Nein, ist es nicht. Ich fühle mich miserabel.«
»Ich habe mich gefragt, ob wir nicht Emma anrufen sollten. Ich weiß, dass Sie es vor ein paar Tagen versucht haben, aber ich finde, wir sollten es noch einmal probieren. Sie brauchen Hilfe – Sie werden noch eine ganze Weile nicht steril sein.«
Sie hat recht. Beim Gedanken daran, meine Hände und Arme mit einer Nagelbürste zu säubern, verkrampfen sich unwillkürlich meine Zehen.
»Ich weiß, dass ihr die Vorstellung nicht gefallen wird, aber ich würde sie gern fragen, ob wir einen Vertreter einstellen können.«
»Einen Vertreter, um die Vertretung zu vertreten«, kommentiere ich trocken, als Izzy mir ihr Handy gibt.
Ich hinterlasse eine Nachricht auf Emmas Mailbox.
»Sie könnten auch in Westleigh anrufen und fragen, wie es Liberty geht.«
John, der Tierarzt, kann gerade nicht ans Telefon kommen, doch fünf Minuten später ruft er mich zurück.
»Ich dachte, Alex würde sich gleich heute Morgen bei uns melden«, sagt er. »Ich habe ja oft genug mit besorgten Besitzern zu tun, aber er war definitiv die Krönung. Und jetzt …«
»Alex konnte sich nicht bei Ihnen melden, weil er einen Unfall hatte«,
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