Stadt, Land, Kuss
entgegne ich. »Es gab ein Feuer. Er ist bewusstlos. Darum rufe ich an und nicht er.«
»Das tut mir leid.« John klingt zerknirscht. »Wie furchtbar.«
»Wie geht es Liberty?«, frage ich, auch wenn es mittlerweile fast gleichgültig erscheint. Wer weiß, ob Alex wieder aufwacht, geschweige denn, ob er jemals wieder reiten wird?
»So weit ganz gut«, antwortet John. »Sie muss noch eine Weile bei uns bleiben, also richten Sie Alex aus, er soll sich keine Sorgen um sie machen.« Er macht eine Pause. »Er wird doch wieder gesund, oder?«
»Ich weiß es nicht«, sage ich, und meine Stimme klingt fern, als käme sie aus dem Mund eines anderen. Ich beende das Gespräch und starre erst das Handy an und dann das rötlich verfärbte Sekret, das durch die mit Pfotenmuster bedruckten Verbände an meinen Armen sickert. Ich weiß es einfach nicht.
Liberty ist noch nicht über den Berg, und Ginge auch nicht, falls er es geschafft hat, vor dem Feuer zu fliehen und sich irgendwo in Longdogs Copse zu verkriechen.
Izzy, die sich weniger Sorgen um den Lack des Praxiswagens macht als ich um mein Auto, fährt durch bis auf die Koppel. Wir gehen über das Gras auf die Überreste des Cottage zu. Der Anblick erinnert mich an das Wrack der Mary Rose, das ich mit Emma und Ben besucht habe: Dampf stieg von ihren glänzenden Planken auf, und die Atmosphäre war unglaublich friedlich. Und traurig.
»Ginge«, rufe ich. »Ginge!«
»Ich glaube kaum, dass er angelaufen kommt, um uns zu begrüßen – von allen Menschen sind wir nicht unbedingt seine Favoriten«, meint Izzy.
»Er kann hier draußen nicht überleben – nicht in seinem Zustand. Ich komme später noch einmal wieder und stelle eine Falle auf.«
Izzy legt eine Hand auf meinen Arm. Sofort durchzuckt mich der Schmerz, und ich ziehe den Arm weg. Ich ertrage keine Berührung. »Maz, er ist wahrscheinlich schon tot.«
»Er lebt«, widerspreche ich. Ich denke an Alex, an sein bleiches Gesicht auf dem Kissen, und ich kann nicht weitersprechen. Wenn Alex stirbt, wird nichts mehr so sein, wie es einmal war.
18
Retter in Not
»So ein hübscher Vogel, ja, so ein hübscher Vogel.« Ein unerträglich fröhlicher Nymphensittich – diese Vögel sind größer als ein Wellensittich, aber kleiner als ein Papagei, haben ein grau-weißes Gefieder, eine gelbe Federhaube auf dem Kopf und einen orangefarbenen runden Fleck hinter dem Auge – begrüßt mich mit einem Pfeifen, als ich am nächsten Morgen auf die Station komme. »So ein hübscher Vogel.«
»Hallo, Izzy.« Ich werfe einen Blick auf die Patientenkarte an seinem Käfig. »Jude? Was ist das denn für ein Name?«
»Einer der Feuerwehrleute hat ihn hinten in Glorias Scheune gefunden«, antwortet Izzy. »Ich habe ihn so genannt, weil er genauso süß ist wie Jude Law.« Sie lächelt. »Und der Feuerwehrmann hat auch die Siamkatze mitgebracht. « Sie deutet auf einen der hohen Käfige, wo eine schielende Katze unter einer Unterlage hervorlugt.
»So ein hübscher Vogel«, meldet sich der Nymphensittich wieder zu Wort. »Ja, so ein hübscher Vogel.«
»Allmählich verstehe ich, warum Gloria ihn nicht im Haus haben wollte. Er hat eine viel zu hohe Meinung von sich selbst – wie verschiedene andere Männer, die ich kenne«, sagt Izzy. »Ich decke ihn für eine Weile zu.« Sie nimmt ein altes Handtuch und breitet es über den Käfig. Jude verstummt. »Schluss jetzt.«
»Warum stehen die ganzen Käfige auf dem Tisch?«, frage ich und versuche mich auf die Tiere und die Praxis zu konzentrieren, statt vor Sorge um Alex durchzudrehen, auch wenn ich kaum an etwas anderes denken kann.
»Das sind Glorias kleine Nager. Die Feuerwehrleute haben sie gefunden, als sie nach dem Feuer die letzten Brandherde erstickt haben. Ihnen ist nichts passiert. Ich habe die Käfige sauber gemacht und ihnen frische Streu und Klopapierrollen gegeben. Frances druckt gleich Etiketten für alle und Plakate, die in der Stadt aufgehängt werden können. Es muss da draußen doch genug Familien geben, die ein paar Mäuse und Hamster aufnehmen können.«
»Aber wo sollen wir denn jetzt arbeiten? Hier herrscht das totale Chaos.«
»Organisiertes Chaos«, entgegnet Izzy optimistisch wie immer. »Ich habe eine Liste gemacht.« Sie zieht ein Klemmbrett unter einer leeren Katzenbox hervor. »Zuerst sollten Sie sich die Siamkatze ansehen. Dann, dachte ich, wäre es ganz gut, Raffles noch einmal zu röntgen, da die Aufnahmen von gestern uns nicht weitergebracht
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