Stadt, Land, Kuss

geistigen Auge, nur um gleich darauf von Zelten und schlammigen Weiden verdrängt zu werden, als ich die Kartenverkäuferin sagen höre: »Sie bekommen hier einfach alles, von Reitjacken bis hin zu Sandbildern. Sie werden begeistert sein.«
    »Es wird sicher ein Erlebnis«, erwidere ich trocken.
    »Ich bin froh, dass es in Talyton eine neue Tierärztin gibt«, sagt die Frau. »Mein Kater Colin hat furchtbare Angst vor dem alten Mr Fox-Gifford, vor allem wenn er mit seinem Thermometer herumfuchtelt. Colin ist sehr empfindlich, was sein Hinterteil angeht.« Dann folgt ein detaillierter Bericht über die gesamte Krankengeschichte ihres Katers, ehe sie mir erklärt, wie ich zu den Haustieren komme. »Der Wettbewerb fängt in einer halben Stunde an.«
    Ich erinnere mich, dass Frances mir von ihrem preisgekrönten Chutney erzählt hat und dass sie mich einigen Damen aus dem Frauenverein vorstellen wollte, und so mache ich auf dem Weg zum Wettbewerbsgelände einen kurzen Abstecher in ihr Zelt. Drinnen ist es stickig, und es riecht nach Dahlien, zertretenem Gras und Erdbeermarmelade. Das Zelt ist brechend voll. Überall stehen Tische, die aus einer Holzplatte auf zwei Böcken bestehen, beladen mit Tabletts voller sahne- und marmeladetriefender Scones und Chutneytöpfe. Manche der Töpfe sind mit karierten Stoffhäubchen abgedeckt, andere offen, und ihr Inhalt ist zusammen mit Käsewürfeln, in denen Cocktailspießchen stecken, auf Tellern angerichtet.
    Ich bahne mir einen Weg durch die schnatternden Frauen, bis ich Frances entdecke. Umhüllt von grellem weißem Blitzlicht und höflichem Applaus hält sie einen Krug und eine Schleife in die Höhe, auf der »Erster Preis« steht. Nachdem sie mich bemerkt hat, bietet sie mir an, mich ihren Freundinnen vorzustellen. Sie streckt die Hand nach einer älteren Frau mit krummem Rücken aus.
    »Das ist Gloria, Gloria Brambles. Gloria, das ist Maz, die Tierärztin, von der ich dir erzählt habe.«
    Als Gloria mich von Kopf bis Fuß mustert, erinnert sie mich an eine Schildkröte, die aus ihrem Panzer hervorlugt. Ihre Haut ist sehr blass, von der Art, die in der Sonne sofort rot wird.
    »Was für ein merkwürdiges Geschöpf«, bemerkt sie. »In diesen dünnen Schuhen holen Sie sich noch den Tod.« Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll, doch sie spricht schon weiter. »Ich habe Frances’ Rat genau befolgt, aber Ginge geht es noch immer nicht besser. Gibt es nicht noch etwas anderes, was ich ihm geben kann, um seinen Magen wieder in Ordnung zu bringen?« Aus Glorias zerzausten weißen Löckchen steigt eine kleine Puderwolke auf. Auch ihr Gesicht ist gepudert, und ihr Mund gleicht einer klaffenden Wunde aus rosa Lippenstift. Ihre Augen sind von einem so hellen Blau, wie ich es noch nie gesehen habe.
    »Es wäre wirklich besser, wenn ich ihn einmal gründlich untersuchen könnte«, schlage ich ihr vor. »Das geht doch jetzt schon eine ganze Weile so, oder nicht?«
    »Ich würde ihn lieber zu Emma bringen, aber wenn es nicht anders geht, komme ich eben zu Ihnen«, antwortet sie widerstrebend.
    »Das ist Fifi Green, die Präsidentin des Talytoner Tierschutzvereins und die Gattin unseres Bürgermeisters.« Frances stellt mir eine Frau in Talar und Amtskette vor, deren riesiger Hut mit einer Unmenge von Tüll und künstlichen Blumen verziert ist. Wenn Gloria Brambles mich an eine Schildkröte erinnert, dann wirkt Fifi Green wie ein Yorkshireterrier: ein süßes Äußeres mit großen braunen Augen und langen Wimpern, aber ein absolut herrschaftliches Auftreten.
    »Außerdem ist sie die Schatzmeisterin des Frauenvereins, mit anderen Worten, eine professionelle Wichtigtuerin«, ergänzt Gloria bissig. Ihre Stimme klingt nach Geld, und die schwarzen Perlen an ihrem Hals müssen ein Vermögen wert sein, ihre teuren Kleider dagegen sehen abgetragen aus. An ihre Taille hat sie eine Diamantbrosche geheftet – wahrscheinlich um den Rock festzuhalten. Sie riecht etwas unangenehm, nach Katze und sauer gewordener Milch. »Ich möchte dich daran erinnern, dass ich als eines der Gründungsmitglieder des Talytoner Tiersch…«
    »Du bist kein Mitglied des Tierschutzvereins mehr«, fällt ihr Fifi ins Wort. »Das Komitee hat dich bei der letzten Jahreshauptversammlung wegen Verstoßes gegen die Statuten ausgeschlossen.«
    »Statuten! Pah!«, schimpft Gloria verächtlich. »Ich habe noch nie ein Tier abgewiesen.«
    Es scheint, als sei ich mitten in einen lange währenden Streit geplatzt. Weder Gloria