Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt, Land, Kuss

Stadt, Land, Kuss

Titel: Stadt, Land, Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Woodman
Vom Netzwerk:
gebrauchen, das Chrissie samstags hilft. Nichts Aufregendes – sie müsste Käfige säubern, Böden wischen, solche Sachen, und dafür würde sie dann etwas Geld bekommen.«
    Dagegen konnte meine Mutter nichts mehr einwenden.
    »Dann nehmen wir ihn also mit nach Hause.« Meine Hand flog auf den Korbgriff zu und blieb ein paar Zentimeter darüber in der Luft hängen, als meine Mutter fortfuhr: »Eine Woche. Zur Probe.«
    »Ach, wenn er erst einmal bei Ihnen ist, werden Sie ihn nicht mehr gehen lassen wollen.« Jack warf mir einen Blick zu, und nachdem meine Mutter ihm den Rücken zugewandt hatte, tat er so, wie wenn er sich mit dem Handrücken die Stirn abwischen würde.
    Sogar Chrissie, die sonst immer so frostig dreinblickte, weinte, als wir gingen. Meine Mutter und ich stiegen mit King in den Bus, und ich fühlte mich wie ein Star, weil alle anderen Fahrgäste ihn streicheln und mit uns reden wollten.
    King lebte sich gut ein. Vom ersten Tag an spazierte er durch die Wohnung, als gehörte sie ihm. Er jagte Schatten, sprang in den Wäschekorb und rollte sich auf unseren Kleidern zusammen, patrouillierte über die Arbeitsflächen in der Küche und stibitzte die Reste des Weihnachtstruthahns – was ich ganz großartig fand, denn so brauchten wir nicht selbst tagelang das übrig gebliebene Fleisch zu essen (damals war ich noch keine Vegetarierin). Die ganze Familie vergötterte ihn – bis auf meinen Vater.
    Meiner Meinung nach ist mangelnde Tierliebe ein ganz besonders unattraktiver Zug bei Männern. Ich weiß nicht, ob mein Vater Kinder mochte, und ganz sicher liebte er meine Mutter am Ende nicht mehr. Das einzige Lebewesen, an dem ihm wirklich etwas lag, war er selbst.
    King war der Auslöser für den letzten Streit zwischen meinen Eltern. Meine Mutter warf meinem Vater vor, er habe ihn auf den Balkon hinausgetreten. Mein Vater, der zum Sofa zurückkehrte und sich in dessen weiche Umarmung zurückfallen ließ, wie wenn er schon ein paar Gläser zu viel getrunken hätte, erwiderte, er habe ihn lediglich mit der Stiefelspitze aus dem Weg geschubst.
    »Du liebst dieses verdammte Vieh mehr, als du mich je geliebt hast«, schimpfte mein Vater und ballte mehrmals die Fäuste.
    »Wenigstens ist er mir dankbar«, erwiderte meine Mutter kühl.
    Ich packte King und drückte ihn an meine Brust. Er leckte meine Hände, seine Zunge kratzte über meine Haut, und sein Atem roch nach Fisch. Mein Herz klopfte fast so schnell wie seins. Meine Eltern stritten sich eigentlich immer, aber diesmal war es anders.
    »Dieser Kater ist die reinste Platzverschwendung. Das Einzige, was er tut, ist fressen und scheißen, fressen und scheißen.«
    »Das sagt gerade der Richtige.« Das Gesicht meiner Mutter wurde genauso rot wie ihre lackierten Fingernägel. Ich konnte sehen, wie sich ihre Brust krampfhaft hob und senkte, als sie fortfuhr: »Ich arbeite mich krumm und bucklig, um diese Familie durchzubringen, und was machst du?«
    Mein Vater legte die Hände zusammen, Fingerspitze auf Fingerspitze. Sie zitterten und zuckten. Er konnte sie einfach nicht ruhig halten. Er fluchte und klammerte die Hände zusammen.
    »Ich bin ein Dichter. Ich schreibe Gedichte. Ich schreibe Gedichte und lebe unter Banausen.« Er verstummte und runzelte die Stirn. »Gib mir ein paar Pence für einen Drink, ja?«
    »Ich habe alles ausgegeben«, antwortete meine Mutter herausfordernd, »für Fischstäbchen und Katzenfutter.«
    »Du … du …« Mein Vater rappelte sich mühsam auf. »Jetzt reicht’s – entweder ich oder der Kater.«
    »Das ist doch wohl keine Frage, verdammt noch mal.«
    Ich weiß nicht genau, was danach passierte. Mein Bruder kam heulend ins Zimmer gelaufen – vielleicht hatten ihn die lauten Stimmen aufgeschreckt. Gleichzeitig hörte ich einen Schlag und einen Aufschrei. Ich sah noch den Fuß meines Vaters – einen schwarzen Strumpf in einem abgetragenen, spitz zulaufenden Schuh – durch die Tür verschwinden, ehe die Szene zu einem Standbild gefror: mein Bruder, der sich kniend an meine Beine klammerte, meine Mutter, die eine Hand an die Wange gepresst hielt, und King, der schwer in meinen Armen hing.
    Obwohl meine Mutter unentwegt mit anderen Männern flirtete und sich mit meinem Vater nur noch gestritten hatte, war sie am Boden zerstört, als sie erkannte, dass er sie endgültig verlassen hatte. In den darauffolgenden Monaten lief sie kilometerweit durch die Stadt und suchte in allen Bars und Pubs nach ihm, und wenn sie nach Hause kam,

Weitere Kostenlose Bücher