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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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Ansatz. »Kann ich reinkommen?«, fragt er zögernd, und ich entdecke eine leise Veränderung in seinem Ausdruck, einen rasch aufflackernden Zweifel, als würde er befürchten, tatsächlich abgewiesen zu werden. In diesem Augenblick bekomme ich eine leise Ahnung der Isolation und Bigotterie, die er als Bush Falls' einziger bekennender Homosexueller zweifellos erlitten hat.
    »Kommt drauf an«, sage ich. »Bist du sauer auf mich?« »Ich verspreche, dass ich dich nicht mit Getränken überschütten werde, wenn du das meinst.« »Du hast davon gehört.«
    »Sie zerreißen sich die Mäuler«, sagt er mit theatralisch hochgezogenen Augenbrauen, während er in die Diele tritt und sich umsieht. »Wow. Zeitreise.«
    »Wem sagst du das«, sage ich. »Mein Zimmer ist wie ein Reliquienschrein der Achtziger.« »Das möchte ich wetten.«
    Er fragt mich nach meinem Vater, und ich gebe ihm eine Zusammenfassung seines Zustands und der generellen pessimistischen Prognose. Er hört aufmerksam zu, während er in seiner Hemdtasche nach einer Zigarette und einem Streichholzbrief fummelt. Er zündet das Streichholz in dem Brief einhändig an, ein Trick, den er schon auf der Highschool vollendet beherrschte, und zieht einmal tief und gierig an der Zigarette. »Zigarette?«
    »Ja, ich weiß«, sage ich, und wir lächeln über den gemeinsamen alten Witz. »Solltest du in deinem Zustand rauchen?«
    »Eindeutig.« Er zieht zynisch die Augenbrauen hoch, was mir als speziell schwule Eigenheit auffällt: würdevoll, selbstentschuldigend und leicht feminin. Ich frage mich, ob er diese Manieriertheiten schon damals auf der Highschool hatte und ich sie nur nicht bemerkt habe, oder ob er dieses Benehmen erst in den Jahren entwickelt hat, nachdem er Falls verlassen hatte. Er hat drüben in Los Angeles gelebt, ist Gelegenheitsjobs nachgegangen und hat für eine endlose Reihe von Sitcom-Pilotfilmen vorgesprochen. Wir blieben sporadisch in Kontakt, schrieben uns sarkastische Briefe und schilderten uns unsere jeweiligen letzten Misserfolge. Irgendwann in meinem letzten Jahr an der Universität von New York war ein HIV-Test, den Wayne machen ließ, positiv ausgefallen, und es kamen keine Briefe, mehr von ihm. Erst kürzlich, in einem meiner seltenen Gespräche mit Brad, hatte ich erfahren, dass Wayne zurück nach Falls gezogen war, und mehr als einmal hatte ich mir vorgenommen, ihn anzurufen, es aber, wie zu erwarten war, doch nie getan.
    Ich sehe in Waynes zerfurchtes Gesicht und die schwer gezeichneten Augen, und in einem unfreiwilligen Anfall akuter Traurigkeit schnürt sich mir die Kehle zusammen. Ich denke, dass er jenen Tauben ähnelt, die ich in meiner Jugend beerdigt habe, wie er so dahinflog, nur seine eigenen Dinge im Sinn, als die Luft vor ihm auf einmal hart wurde. »Wie lange bist du schon symptomatisch?«
    »Ich denke, ich habe vor kurzem die Grenze zwischen lange genug und zu lange überschritten«, sagt er mit einem wehmütigen Lächeln.
    »Lebst du zu Hause?«
    »Ja. Aids allein war offensichtlich nicht genug, um meine masochistische Natur zu befriedigen.«
    »Und wie geht es den Senioren Hargrove?«
    »Sie empfinden Genugtuung«, sagt er mit einem säuerlichen Grinsen. »Meine Mutter hat mich gewarnt, dass ich für meine Abscheulichkeiten eines Tages höllisch würde bezahlen müssen.«
    Waynes Mutter ist eine harte Frau, die obskure biblische Verse auf Kissen stickt und eine umfangreiche Sammlung von Reader's-Digest-Heften aufbewahrt, durch die sie sich jeden Sonntag nach der Kirche hindurchheult. Neben ihr ist sein Vater praktisch unsichtbar, ein langsam kahl werdender Mann, der in einem leisen Flüsterton spricht, als hätte er ständig Angst, irgendjemanden aufzuwecken.
    »Kann ich dir was zu trinken holen?«, sage ich, obwohl ich noch gar nicht in der Küche war und somit keine Ahnung habe, was man eventuell von dort holen könnte. Bier und Gatorade sind immer die bevorzugten Getränke meines Vaters gewesen, aber ich nehme an, er kauft immer noch für jeden Tag einzeln ein.
    »Nein, danke«, sagt Wayne. »Eigentlich bin ich gekommen, um dich zu holen.«
    »Wirklich? Wozu?«
    »Um einen trinken zu gehen«, sagt er, als hätte das offensichtlich sein sollen. »So unglücklich die Umstände auch sind, es ist doch immer noch eine Heimkehr, eine Art Wiedervereinigung. Wir sind es uns schuldig, uns voll laufen zu lassen.«
    Ich betrachte skeptisch seine fragile Gestalt. »Du willst dich voll laufen lassen?«, sage ich. »Das kann dir

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