S.T.A.L.K.E.R. 03 - Apokalypse
…
5.
IM KONTROLLRAUM
Mistkerl.
Ein kratziges Badetuch um beide Schultern geschlungen, saß Kim auf dem kalten Fußboden. Frierend. Wütend. Den Blicken des Mannes ausgesetzt, der sie hinterrücks betäubt hatte.
Statt sich in Grund und Boden zu schämen, besaß dieser Drecksack auch noch die Frechheit, sie freundlich anzulächeln. Sie zu beschwatzen und um ihr Verständnis zu bitten.
Beide Beine unter den Körper gezogen, versuchte sie sich so gut wie möglich vor ihm abzuschotten. Kim fühlte sich nackt, schutzlos und irgendwie besudelt. Doch sie war fest entschlossen, sich nichts von ihm bieten zu lassen.
„Hören Sie mir eigentlich zu, Fräulein Raika?", fragte der Mistkerl, der sich Professor Dobrynin nannte, nun schon zum zehnten Mal. „Was ich Ihnen zu erklären versuche, ist wirklich wichtig."
„Ihr Gequatsche interessiert mich nicht!"
Der Professor lachte auf, obwohl er am liebsten geschrien hätte. Das war ihm deutlich anzusehen.
„Hören Sie, ich kann ja verstehen, dass Sie wütend sind." Schon wieder dieses gekünstelte Lachen. Seine freundliche Fassade besaß einfach zu viele Risse, um jemanden zu täuschen. „Aber Sie müssen doch verstehen, dass es hier um weitaus mehr geht als Ihre verletzte Eitelkeit. Zugegeben, ich habe Sie vielleicht ein wenig überrumpelt, aber nur im Dienste der Menschheit. Ihnen ist scheinbar nicht klar, was alles auf dem Spiel steht."
Ihre telepathischen Fähigkeiten versagten Kim leider den Dienst. Statt zu empfangen, was wirklich in dem Kerl vor sich ging, spürte sie nur ein fernes Raunen und Wispern. Vermutlich handelte es sich dabei um Überlagerungen, die von dem nahen Kollektiv ausgingen.
„Wenn sich die Zone ein weiteres Mal ausbreitet, wird sie komplette Landstriche vernichten. Im schlimmsten Fall sogar die ganze Welt. Das wäre die Apokalypse, verstehen Sie?"
Sie starrte Dobrynin direkt ins Gesicht, ohne ein Wort zu sagen. Der Professor wurde immer nervöser. Ein dichtes Netz aus feinen Schweißperlen bedeckte seine Stirn. Er wischte mit dem Handrücken darüber, erreichte damit aber nur, dass sie sich zu salzigen Strömen vereinten, die ihm in die Augenwinkel rannen.
„Das würde auch das Werk Ihrer Mutter vernichten", fuhr er blinzelnd ― um das Brennen in seinen Augen zu vertreiben ―fort.
„Das Werk meiner Mutter?", echote Kim verblüfft.
„Ja, sicher." Er setzte sich auf. Sichtlich erfreut, endlich einen Hebel gefunden zu haben, den er ansetzen konnte. „Was glauben Sie, warum Marina bei mir ist?"
Kim konnte kaum glauben, was der Kerl ihr da auftischen wollte. „Behaupten Sie etwa, meine Mutter hätte meinen Vater und mich aus freien Stücken verlassen, bloß um ..." Sie brachte die Worte nur mühsam über die Lippen. „... bei Ihnen zu arbeiten?"
„Ja, was denn sonst?" Er sah sie überrascht an. „Ach so, jetzt verstehe ich. Deswegen sind Sie so ablehnend. Sie denken wohl, Marina wäre gegen ihren Willen hier?"
„Aber nein, natürlich nicht!", blaffte ihn Kim an. „Meine Mutter ist sicher genauso freiwillig betäubt worden wie ich."
Dobrynin hob beide Hände in einer abwehrenden Geste, als wäre er die unverstandene Unschuld in Person. Dabei wusste Kim genau, dass sie von ihm nichts Gutes zu erwarten hatte. Die Worte ihrer Mutter hatten sich tief in ihr Bewusstsein gebrannt: Sobald sie dich eingebunden haben, ist es zu spät!
Dobrynin war inzwischen zu einem Schreibtisch am anderen Ende des Raumes geeilt. Nervös riss er mehrere Schubladen auf und wühlte in der untersten von ihnen, bis er, mit einem alten Pappschnellhefter bewaffnet, zurückkehrte. In einer respektlosen Geste warf er die Mappe auf den grauen PVC-Boden. Der Aufprall fiel so hart aus, dass sich vor Kim eine Flut von Fotos und Formularen ergoss.
Sie wollte den weit verstreut liegenden Stoß zuerst keines Blickes würdigen, doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit von einem Schwarz-Weiß-Foto angezogen. Es zeigte eine Gruppe von jungen Frauen und Männern in sowjetischer Uniform, die vor einer alten Baracke Aufstellung genommen hatten. Die Aufnahme sollte nach einem fröhlichen Betriebsausflug aussehen, doch die meisten Personen wirkten eher ernst, einige sogar ein bisschen traurig. Nur ein dicht beieinander stehendes Pärchen, das sich die Arme kameradschaftlich um die Schultern gelegt hatte, lachte herzlich auf.
Bei dem Mann handelte es sich zweifellos um Professor Dobrynin, der zum Zeitpunkt der Aufnahme kaum dreißig Jahre alt gewesen sein mochte ― bei der
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