Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
haben heute die Hauptstadt verlassen. Morgen werden wir in Brüssel einmarschieren. Wir sollten uns freuen. Aber ehe wir die Stadt in Besitz nehmen können, warten hier noch wichtige Aufgaben auf uns. Es handelt sich um eine Staatsaffäre, und Ihr seid de facto der Repräsentant Ihrer Majestät. Es ist Eure Pflicht.«
Marlborough seufzte und rieb sich die Schläfen. »Ja, ja, ich weiß. Wenn mein Kopf nur nicht so schmerzen würde. Ich habe deswegen schon der Herzogin geschrieben. Ich hoffe auf Heilung – die Königin übrigens auch. Sie schlagen vor …«
»Tut mir leid, Euer Hoheit«, warf Hawkins ein, »aber Cadogan hat recht. Ihr müsst bleiben. Zu Recht betrachtet man Euch als den Sieger, und diese Herren hier werden Euch wie einen Eroberer feiern, wie den Befreier ihres Vaterlandes. Ob es Euch gefällt oder nicht, aber Euch fällt die Rolle zu, diese Politiker kennenzulernen. Alle haben sich hier versammelt. Die Magistrate sind aus Brüssel gekommen, die Ständevertreter aus Brabant. Und nicht nur das, Mylord, denn die gesamte spanische Regierung hier in den Niederlanden hat sich gegen Ludwig ausgesprochen und Erzherzog Karl Gefolgschaft gelobt, unserem Kandidaten für den Thron in Spanien. Das Schicksal Europas liegt in Euren Händen. Ihr müsst Euch nun auf diese Herren einlassen. Jetzt, Euer Hoheit.«
Marlborough funkelte ihn aus seinen grünen Augen an. »Oh, James, ich wünschte, Ihr hättet nicht dauernd recht.«
Unterdessen hatte van Goslinga die Halle erneut betreten und lächelte den Herzog ein wenig geistlos an. Marlborough zischte halblaut: »Schon wieder dieser Mann, dieser unausstehliche kleine Wicht.«
Der niederländische Verbindungsoffizier hatte diesen Kommentar nicht vernommen und schenkte dem Herzog ein schmeichlerisches Lächeln. »Euer Hoheit, die Deputierten und Magistrate würden Euch nun gern kennenlernen, wenn es Euch beliebt.«
Hawkins, Cadogan und Marlborough wurden in den Grand Salon des Schlosses geleitet. An den mit Blattgold verzierten Wänden hingen Gobelins in lebhaften Farben, auf denen Szenen aus dem höfischen Leben im Mittelalter und Porträts der Herzoge von Brabant zu sehen waren. In der Mitte des Saals stand ein langer Tisch, an dem gut zwanzig ältere, ehrwürdige Herren saßen, auf den Köpfen graue, wallende Perücken. Hawkins fiel auf, dass die Gesandten auf der linken Seite der Tafel die blasse Hautfarbe der Nordeuropäer hatten, während die Gentlemen rechter Hand einen dunkleren Teint aufwiesen und feine Schnurrbärte trugen.
Alle Herren waren in feierliche schwarze Roben gehüllt. Den Herzog und Hawkins erinnerte die Versammlung eher an ein Treffen von Ärzten, aber in der Mitte der Tafel lagen keine Leichname zum Sezieren, sondern Papierstapel und Karten mit rotem Siegelwachs. Zwischen und auf den Dokumenten lagen die Degen der Deputierten und spanischen Abgesandten, wobei die Griffe absichtlich in Richtung des siegreichen britischen Generals zeigten.
Als Marlborough den Salon betrat, erhoben sich die Herren wie auf ein geheimes Zeichen hin und verbeugten sich tief. Der Herzog erwiderte die zeremonielle Begrüßung mit derselben Eleganz. Der Mann, der am nächsten bei der Tür stand, ein kleiner, blässlicher Niederländer mit einem schmalen Ziegenbärtchen, hob in manieriertem Englisch an.
»Wir sind ein stolzes Volk, Euer Hoheit. Vierhundert Jahre lang haben wir uns der französischen Tyrannei widersetzt. Seit zweihundert Jahren werden wir vom Hause Habsburg regiert. Seit 1515 von den Spaniern. Unter Spaniens Herrschaft wurden unsere Leute massakriert, da sie sich weigerten, die katholische Lehre zu akzeptieren. Achtzig Jahre lang stritten wir wider Spanien, bis 1648. Im Verlauf der letzten dreißig Jahre kämpften wir gegen den französischen König Ludwig. 1695 bombardierten die Franzosen drei Tage lang unsere Stadt Brüssel. Sie schossen sie in Schutt und Asche – nur das Rathaus überlebte. Aber aus der Asche erbauten wir unsere Stadt neu und so, wie Ihr sie jetzt sehen könnt. Wir stehen immer wieder auf, Mylord, und mit Eurer Hilfe haben wir das Joch der französischen Fremdherrschaft abgeschüttelt. Wir geloben nun Karl VI. Treue und ersuchen Euch, eine neue, vereinigte Provinz unter Führung Brabants anzuerkennen.«
Marlborough vollführte eine Verbeugung. »Habt Dank, Mijnheer. Ich bin General, kein Staatsmann. Aber ich werde Eure Deklaration annehmen und alles meiner Königin in England mitteilen. Mir ist das lange Leid Eures Landes unter
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