Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
Fenstern hüllte die Männer in einen warmen Schimmer. Als sie im Schatten eines der Häuser stehen blieben, hatte Steel einen Augenblick Zeit zum Nachdenken. Ihm war bewusst, dass es für ihn als Briten nicht ungefährlich sein würde, so kurz nach dem Beschuss die Stadt zu betreten. Aber er hatte nicht mit den Schuldgefühlen gerechnet, die sich nun seiner bemächtigten. Stumm nahm er den Anblick in sich auf.
In den Straßen herrschte Betriebsamkeit, was ungewöhnlich für die Uhrzeit war. Doch Steel kannte den Grund. Es lag auf der Hand. Ein Karren ratterte an ihnen vorbei, gezogen von zwei Männern im Laufschritt. Die Ladung lag verborgen unter einer Plane, aber es war unschwer zu erraten, was die Männer dort abtransportierten. Als der Wagen vorbei war, sah Steel eine Hand, die schlaff über die Kante der Ladefläche hing. Leichen. Die Leute schafften die Toten weg, ehe sie verfaulten und womöglich eine Seuche eine neue Bedrohung für die belagerte Stadt darstellte.
Als sie kurz darauf an einer Gasse vorbeikamen, schaute Steel kurz hinein und erhaschte einen Blick auf eine Frau, die sich offenbar über einen Stapel Wäsche beugte. Sie hatte beide Hände darauf gelegt und schien laut zu sprechen. Steel blieb kurz stehen, aber seine Neugier verwandelte sich rasch in Verbitterung, als er sah, dass es sich bei den vermeintlichen Wäschestücken um die leblosen Konturen eines Toten handelte. Die Frau hatte ein Wehklagen angestimmt, kniete neben dem Toten und wippte rhythmisch vor und zurück. Steel wendete den Blick von der Gasse und schloss wieder zu Slaughter und den anderen auf.
Der Sergeant blickte grimmig drein. »Ist das nicht furchtbar, Sir, was wir angerichtet haben? Wenn man dann alles aus der Nähe mit ansehen muss … die armen Teufel.«
»Ja, Jacob. Es ist furchtbar. Aber was blieb uns für eine Wahl? Gott sei Dank schweigen die Geschütze jetzt. Danken wir also jenem Schurken, der Lady Henrietta oben auf den Wehrgängen an den Mast gefesselt hat. Wir haben dadurch zwar jetzt einen Auftrag erhalten, um den uns keiner beneidet, aber dafür haben wir vielleicht die Leben der Menschen hier gerettet.«
Brouwer drehte sich halb um und zischte Steel warnend zu, leise zu sein. Als Steel nach unten sah, fiel ihm auf, dass Slaughter sich seinem Schritttempo angepasst hatte. Rasch verlangsamte er die eigenen Schritte, um in einen anderen Rhythmus zu fallen.
»Wir müssen aufpassen, dass wir nicht anfangen zu marschieren, Jacob«, flüsterte er. »Wir wollen nicht unnötig Aufmerksamkeit auf uns ziehen.«
Erneut drehte der Flame sich zu ihnen um und strafte sie mit einem wütenden Blick. Steel machte sich bewusst, dass der englische Akzent sie verraten könnte. Für jemanden, der einen Blick für das Militärische hatte, verhielten sie sich ohnehin viel zu auffällig. Was waren sie doch von all den Jahren in der Armee geprägt! Insbesondere jetzt war es wichtig, das Soldatentum zu kaschieren – bis der rechte Zeitpunkt käme. Dennoch wandte er sich noch einmal leise an Slaughter.
»Jacob, bleibt bei mir. Und denkt daran, wenn Euch jemand anspricht, dann versucht nicht, wie ein Franzose zu sprechen. Seid ein verfluchter Ire. Wir sind Deserteure. Wir sind hier, um uns den verdammten Piraten anzuschließen. Und versucht, endlich so zu gehen wie jemand, der die Armee satt hat. Ihr geht immer noch so wie bei der Parade vor den Horse Guards.«
Slaughter gab sich alle Mühe, den strammen Militärschritt abzulegen, scheiterte indes kläglich. »Ja, Sir.«
Steel verzog den Mund. »Und hört endlich auf, mich mit Sir anzureden. Ich heiße Jack, schon vergessen?«
Ein Lächeln erhellte Slaughters Miene. »So soll es sein, Jack.«
»Aber sagt es nicht öfter als nötig.«
Brouwer hatte es inzwischen aufgegeben, die Engländer zum Schweigen zu bringen, und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als das Zwiegespräch von Musik unterbrochen wurde. Die Melodie erfüllte die Luft und schien von irgendwo weiter links zu kommen. Es waren Klänge einer Orgel, die nun an Intensität zunahmen. Steel lauschte und vernahm Stimmen, die das Dies Irae sangen.
Marius Brouwer merkte, wie verdutzt Steel dreinblickte. »Sie singen es für die Toten. Die Menschen halten eine Messe mit Requiem. In der Kirche des Heiligen Petrus und Paulus. Für die Toten, die Euren Geschützen erlagen.«
Steel schüttelte den Kopf. »Es tut mir aufrichtig leid. Glaubt mir. Hätten wir es zu verhindern gewusst …«
Brouwer schaute zur Seite
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