Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
verloren, Dänen zumeist. Weitere zwanzig Opfer hatte Cassels’ Besatzung zu beklagen.
Während Steels Männer halfen, die Leichen über Bord zu werfen und die Waren von den sinkenden Booten zu retten, trat Steel zu Cassels, dessen Blick auf einem toten Besatzungsmitglied haftete. »Wir sollten einen Ankerplatz für die Nacht suchen, Sir.«
»Undenkbar. Wir müssen weiter. Zeit ist kostbar und …«
Steel unterbrach ihn. »Habt Ihr nicht gesehen, was hier geschehen ist? Wir haben Männer und Ausrüstung verloren. Die Freibeuter haben ihr Spiel mit uns getrieben. Wenn wir weitersegeln, werden sie wieder über uns herfallen. Ich befehlige hier die Eskorte, Captain, und jetzt übernehme ich das Kommando. Es gibt nur einen Weg: Wir bleiben hier, bilden einen Verteidigungsgürtel und warten, bis der Tag anbricht. Nur so haben wir eine Chance.«
Und was mich betrifft, dachte er, so habe ich Zeit, darüber nachzudenken, warum Henrietta sich auf den Weg nach Leffinge gemacht hat.
Unterdessen lag Henrietta Vaughan auf einem Diwan im besten Zimmer, das Leffinges einzige Schänke zu bieten hatte, und schaute dem Mann in die Augen, den sie liebte. Sie stieß einen leisen Seufzer aus. Wie eigenartig, dachte sie, dass ich hier unmittelbar an der Front in Gefahr schwebe und trotzdem so glücklich bin.
Gewiss würde es einen Skandal geben. Aber sobald die bösen Zungen verstummten und die Scheidung eingereicht war, würde ihr Vater der neuen Verbindung zustimmen. Ja, sie würde Lachlan heiraten, und dann würde ihr Vater ihr endlich den Anteil seines Reichtums angedeihen lassen, der ihr zustand. Mit einem Captain Steel war er schließlich nie als Schwiegersohn zufrieden gewesen. Das sollte sich jetzt alles ändern.
Armer Jack, dachte sie. Aber sie hatte immer geahnt, dass ihre Ehe nicht halten würde. Jack entsprach einfach nicht ihrem Stand. Natürlich war er ein charmanter, tapferer und liebenswerter Mann, aber eben nicht ganz der Richtige.
Lachlan Maclean sank ein Stückchen tiefer in den Zuber mit heißem Wasser, das die Wirtin ihm nach gutem Zureden und der entsprechenden Bezahlung gebracht hatte. »Ich denke, ich werde mein Offizierspatent verkaufen«, sagte er. »Ich habe in London zu tun. Geldangelegenheiten. Das wird meine ganze Zeit in Anspruch nehmen. Aber für dich, mein Liebling, habe ich natürlich immer Zeit.«
Henrietta lächelte. »Wie clever von dir, mich hierherzubringen.«
»Du gibst also zu, dass ich recht hatte? Es ist doch wirklich viel vernünftiger, hier bei mir zu bleiben, anstatt nach Lille zu reisen.« Er hielt inne und dachte nach. »Und dein Entschluss steht also fest, was deinen Mann betrifft? Du hast keine Zweifel?«
»Keine. Wieso auch? Es war genau richtig, dass du nach Brüssel gekommen bist, um mir zu helfen.«
»Das hätte doch jeder Mann getan für das hübscheste Mädchen auf Erden, das sich verlaufen zu haben schien.«
»Ja. Ich war vom Weg abgekommen, nicht wahr? Und zwar schon länger, als du dir vorstellen kannst. Und du warst so gut zu mir … und so großzügig.«
Sie streckte den rechten Arm aus und bewunderte die beiden Ketten, an denen Saphire und Brillanten funkelten.
»Wie gesagt, hätte nicht jeder Mann so gehandelt?«
»Aber du bist eben nicht irgendein Mann.«
»Das sagst du mir immer wieder, meine Liebe. Ich weiß auch nicht, wie du darauf kommst.«
»Dann komm doch zu mir, und ich zeig dir warum.«
Lachlan ließ sich nicht zweimal bitten, und als Henrietta seinen Körper auf ihrem spürte und sein heißer Atem ihre Lippen umfing, machte sie sich bewusst, dass es sehr durchtrieben von ihr war, Jack mit einem seiner Kameraden zu betrügen. Ein ungeahntes Prickeln lief durch ihren Körper, denn sie liebte es, verbotene Dinge zu tun.
Doch dann donnerten die Geschütze.
15.
Der Konvoi erreichte Gistel erst am folgenden Morgen. Wie Steel es befohlen hatte, hatten sie noch in der Nacht einen notdürftigen Ankerplatz gefunden: Sie hatten die Boote an Bäumen vertäut, die an einer Stelle aus dem Wasser ragten. Die Frachtboote hatten sie dicht zusammengebracht und dann einen Gürtel aus Barkassen gebildet. Die Grenadiere hatten abwechselnd Zug für Zug Wache gehalten. Die Freibeuter waren nicht zurückgekehrt, wie Steel es vorausgesehen hatte, und als sie im Morgengrauen in südlicher Richtung gesegelt waren, hatten sie einen günstigen Wind im Rücken.
Nach wie vor stand das Wasser in den nördlichen Bereichen von Giste, schwappte an die Häuser, hatte den
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