Steinhauer, Franziska
Schließlich gelang es ihr, den Engel zu überwältigen. Fest presste sie seinen Oberkörper auf die Dielen und zwang ihn, die Waffe abzulegen. Yvonne beobachtete derweil den Kampf und das Chaos unbeteiligt.
„Schluss jetzt, Mario! Es ist vorbei! Julian wird auch gerade überwältigt!“
Das Feuer drohte derweil alles zu verschlingen, in den Türen hatten sich Leiber verkeilt, es wurde geschlagen, getreten und an den Haaren gezerrt. Die Fenster barsten, Scherben flogen durch den Raum. Ein Stakkato der Schreie hatte die Musik längst unhörbar gemacht.
Eine verzweifelte Frau schrie: „Im anderen Saal brennt es auch! Wir werden alle sterben!“
Klapproth war für den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt. Das nutzte Yvonne sofort aus.
Kraftvoll trat sie gegen Klapproths Schläfe, und Mario stieß die schwankende Ermittlerin von sich.
Maja Klapproth schüttelte den Kopf.
Die Bilder verschwammen vor ihren Augen.
In diesem Augenblick entdeckte sie den Bücherwurm nur wenige Schritte von sich entfernt, wie er schützend seine Hände vor den Bauch hielt und bewegungslos, im Schock, in die Flammen starrte.
Mario richtete die Waffe gegen Yvonnes Kopf.
Das Mädchen drückte sich vertrauensvoll an die Brust des Engels.
„Es ist sinnlos Mario! Was soll das? Nocturnus ist tot, die Kinder Lucifers gibt es nicht mehr!“
„Umso wichtiger ist meine Mission!“
„Was wird aus deiner Freundin?“
„Eine Tochter Lucifers!“, erklärte Yvonne mit verklärtem Gesichtsausdruck.
„Ist dir der Wurm so wichtig?“, fragte Mario plötzlich lauernd, der offensichtlich Klapproths Blick gefolgt war.
Die Mündung der Waffe fand das neue Ziel.
„Nein!“, Klapproths gellender Schrei zerriss die Luft. Schüsse hallten durch den Saal, eine Salve, zwei.
Sie sprang, riss den Wurm mit zu Boden.
Undeutlich spürte sie einen brennenden Schmerz, der sich in ihrem Körper rasend schnell ausbreitete.
Klapproth hob den Kopf.
Überrascht blickte sie auf Mario und Yvonne, die vor ihr auf dem Boden lagen. Sie hatten den Tod gesucht und gefunden!
Den Anblick würde sie ihr ganzes Leben nicht mehr vergessen.
Es galt Narrenszeit.
Aus dem großen Konferenzraum waren Schreie zu hören und Brandgeruch drang bis auf den Gang.
„Benzin! Der Kerl hat eine Benzinbombe gezündet!“ Kinder kreischten, rüttelten von innen an der Klinke der verschlossenen Tür.
Malte Paulsen nahm Anlauf – und brach die Tür ein. Einige Menschen wurden von den umherfliegenden Holzsplittern, andere von der fallenden Tür selbst getroffen. Ein Feuermeer trennte die Narren vom rettenden Ausgang auf der gegenüberliegenden Seite.
Hineindrängende Polizeikräfte und hinausdrängende, von Panik erfüllte Jecken schoben sich aneinander vorbei, blieben stecken, versuchten erneut vorzurücken.
Paulsen starrte Julian an.
Der Weg in den Raum war von drängelnden Leibern blockiert, und er musste hilflos zusehen, wie der Engel ohne sichtbare äußere Regung in seine Hirtentasche griff und eine Maschinenpistole herauszog.
Julian lud durch und schoss wahllos in die Menge, die dem Feuer zu entkommen versuchte. Blut spritzte auf, das Geschrei erreichte einen neuen Höhepunkt. Schrilles Kreischen, gellendes Jaulen, lautes Weinen, alle Formen waren vertreten. Ein paar Narren saßen in Agonie auf dem Boden, hielten einen leblosen Körper im Schoß und warteten darauf, von den Flammen verschlungen zu werden.
Und immer wieder schoss Julian.
Paulsen gab dem Einsatzleiter ein Zeichen. Doch dessen Männer waren so sehr mit dem Retten der Narren beschäftigt und fürchteten zudem, einen der Flüchtenden zu treffen, wenn sie den Engel ins Visier nahmen, dass Paulsen kurz entschlossen seine Waffe aus dem Holster riss und schoss.
Erst glaubte er, er habe den Jungen verfehlt.
Dann sah er jedoch den Ausdruck ungläubigen Staunens in Julians Gesicht.
Der Engel begann leicht zu schwanken.
Fiel auf die Knie.
Kippte dann zur Seite.
42
Maja Klapproth kam nur langsam wieder zu sich.
Fabians Kopf lag neben ihr auf der Decke.
Liebevoll strich sie ihm über den Schopf.
„Maja!“
Er rappelte sich mühsam auf.
„Ja, wieso liege ich im Krankenhaus?“
„Soll das heißen, du erinnerst dich nicht?“ Fassungslos sah er sie an. „Du hast gekämpft wie eine Löwin. Mann, ich wusste ja gar nicht, dass du so stark bist! Die Kameras hatten dich die ganze Zeit im Visier. Jetzt bist du berühmt!“
Lag da so etwas wie Bewunderung in seiner Stimme?
Maja Klapproth unterdrückte ein
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