Stella Blomkvist
denn?«
»Wenn du die Videos findest, hast du
die Namen.« Er lacht kalt. »Und die Gesichter.«
»Im Brief hast du eine blaue Tasche
erwähnt. Sind da vielleicht die Videos drin?«
»Mir wurde berichtet, dass sie von
dieser blauen Tasche als ihrer Versicherung gesprochen hat«, sagt er. »Das
kann gut möglich sein, dass sie die Videos in dieser Tasche aufbewahrt. Aber
wenn nicht, dann irgendwo anders. Wenn du diese Materialien findest, kannst du
die Bombe platzen lassen und damit deinen Klienten retten.«
»Und im gleichen Aufwasch für dich
die Drecksarbeit erledigen.«
»Ich höre, dass unser Gespräch dem
Ende zugeht«, sagt er. »Ich erwarte, dass du für dich behältst, was ich dir im
Vertrauen gesagt habe. Es ist für uns beide das Beste. Für uns beide, vergiss
das nicht.«
»Soll das eine Drohung sein?«
Er öffnet die Tür. Kári wartet immer
noch auf dem Flur.
»Das Beste für uns beide, sagte ich,
nichts anderes. Kári fährt dich nach Hause.«
Gunnleifur schiebt mich höflich aber
entschieden aus dem Bücherzimmer und schließt hinter sich die Tür.
»Komm schon, meine Liebe«, sagt
Kári. Er packt mich am Arm, als hätte er es mit einem widerborstigen Schaf zu
tun.
Ich marschiere wütend bis zum
Anschlag hinaus in die Kälte.
Verfluchte Säcke!
22
Halla war ein Engel.
Ich glaub’s einfach nicht!
Sie hatte bestimmt auch einen
goldenen Heiligenschein und süße, kleine, weiße Flügelchen. Etwas anderes kann
man jedenfalls nicht aus den Lobeshymnen herauslesen, die in den Tageszeitungen
von heute abgedruckt sind.
Der Premierminister ist einer von
den vielen, die an Hallas Beerdigungstag im Friede-Freude-EierkuchenStil
Nachrufe auf sie schreiben. Ein Artikel von Gunnleifur ist auch dabei, und
sogar Haukur hat etwas geschrieben. Zumal das Morgunbladid knallvoll ist mit
Verehrerbriefen. Lob und Preis in jedem Artikel. Es gab auch keinen Zweifel,
über wen geschrieben wurde. Nicht über die katholische Mutter in Indien. Nicht
über Florence Nightingale. Nein, nein, sie schreiben über Halla. Die nette,
hilfsbereite, hoch begabte, fleißige, liebenswerte Halla. Über das Mädchen, das
jedermanns Liebling war und auf direktem Wege in höchste Ämter.
Was für eine Heuchelei!
Aber so ist das wohl in der Politik.
Lilja Rós wollte sich um die
Beerdigung kümmern. Sie stand ihr am nächsten, weil Halla sonst niemand hatte.
Aber Lilja Rós war völlig aufgeschmissen. Wusste nicht, was sie in so einem
Fall zu tun hatte. Darum hatte sie den Rettungsdienst angerufen. Mich. Ich bin
noch am gleichen Tag zu ihr hin. Nach einigen Telefonaten war alles geordert:
Pfarrer, Kirche, Chor, Blumen, Grab, Todesanzeigen.
Merkwürdig, dass niemand ihr Hilfe
angeboten hat. Nicht von der Staatskanzlei. Auch nicht von der Partei.
»Der Pfarrer will sich mit dir
treffen«, sagte ich ihr, nachdem alles geklärt war. »Er braucht persönliche Informationen
über Halla. Für die Ansprache, verstehst du.«
»Mann, wie schnell du das auf die Reihe
kriegst«, sagte sie. »Ich kenn mich mit so was überhaupt nicht aus.«
Nachmittags am Beerdigungstag sitzen
wir im Wohnzimmer und erholen uns von der Trauerfeier. Lilja Rós hatte mich
gebeten, sie nach dem Leichenschmaus im Gemeindehaus nach Hause zu fahren und
verschwand direkt in der Küche, um Kaffee zu kochen.
»Ist so was nicht wahnsinnig
teuer?«, fragt sie.
»Zweifellos so etwas über 100000.«
»Aber ich hab nicht so viel cash.«
»Mach dir darüber keine Sorgen. Im
Nachlass ist mit Sicherheit genug Geld vorhanden, um die Beerdigungskosten zu
decken.«
»Nachlass? Oh Gott!« Sie beginnt zu
heulen.
»Hat Halla ein Testament
hinterlassen?«, frage ich Lilja Rós, als sie es geschafft hat,
ihren Tränenfluss trockenzulegen.
»Ein
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