Stella Blomkvist
er. »Komm sofort mit!«
Als sich unsere Blicke kreuzen,
schenke ich ihm ein extra nettes Lächeln.
Er dreht total ab und schreit:
»Schmink dir dieses verdammte Gegrinse von deiner Fresse!«
»Es ist doch immer nett, sich mit
einem Gentleman zu unterhalten«, antworte ich und lächele noch breiter.
»Ansonsten kannst du machen, dass du
hier rauskommst!«, brüllt er weiter.
»Vielen Dank für die Blumen«, sage
ich und schaue zu Raggi.
»Lass den Scheiß, Stella.«
Der Vize verschwindet wieder.
»Warte hier, bis ich wiederkomme«,
sagt Raggi und folgt seinem Vorgesetzten.
Raggis Büro ist klein. Ein paar
Regale. Aktenschränke. Ein Computer. Stapelweise Aktenmappen auf dem
Schreibtisch. Ein Schreibtischstuhl auf Rollen.
Ich setze mich auf den Stuhl und
werfe einen Blick auf die Akten. Finde schnell das Objekt meiner Begierde.
Öffne die Mappe. Nehme die ausgedruckte Aussage des Benzinjungen in die Hand
und beginne zu lesen.
Der Bauernhof liegt direkt an der
Ringstraße, knapp südlich von der Bezirksgrenze vom Snaefellsnes. An diesem
Abend hat die Familie Fernsehen gesehen. Derrick war gerade in voller Aktion,
einen Mord zu lösen, als jemand am Weg gehupt hat. Der Junge wurde rausgeschickt, um den Kunden zu bedienen.
Er konnte das Auto und den Fahrer beschreiben. Die Beschreibung passte gut auf
Saemi.
Der Junge hat Saemis Auto
vollgetankt. Sie haben sich nebenbei über die englische Fußballliga
unterhalten. Hielten beide zu Liverpool. Der Fahrer hatte ein Liverpool-Käppi
im Auto, das er dem Jungen geschenkt hat, bevor er weitergefahren ist.
Er hat dem
Jungen ein Käppi geschenkt?
Komisch. Wieso hat Saemi das in
seiner Aussage nicht erwähnt? Er verschenkt doch wohl kaum jeden Tag solche
Käppis an unbekannte Jungs? Daran hätte er sich doch erinnern müssen!
Ich stecke die Kopie wieder in die
Mappe und schließe sie. Stehe dann auf, mache die Tür auf und gehe auf den
Flur.
Raggi kommt
zurück.
»Er wird jetzt freigelassen«, sagt
er bekümmert. »Da kommt wohl nichts anderes in Frage.«
Wir gehen zusammen den Gang bis zum
Empfang entlang. Dorthin wird kurze Zeit später auch Saemi gebracht. Er grinst
von einem Ohr zum anderen.
»Komm, ich fahr dich nach Hause«,
sage ich, als die Formalitäten erledigt sind und Saemi seine persönlichen
Gegenstände wiederbekommen hat.
»Gehört dir diese Schrottmühle?«,
fragt er überrascht, als er mein altersschwaches Auto sieht.
»Willst du
lieber zu Fuß gehen?«
»Ich habe nur immer gedacht, dass
ihr Anwälte Kohle genug hättet, um euch was Besseres zu leisten.«
»Mach dir
um mich keine Sorgen.«
»Willst du
heute Abend mit mir feiern?«
»Ich bin
beschäftigt.«
»Okay. Aber ich will heute Nacht mal
so richtig einen draufmachen und das Leben genießen!« Er breitet seine Arme
aus. »Reykjavik here I come!«
Als ich vor seinem Mehrfamilienblock
anhalte, springt er schnell hinaus, aber steckt noch mal den Kopf durch die
offene Tür hinein.
»Gehn wir denn ein andermal zusammen
aus?«, fragt er.
»Ja vielleicht, wenn du dir heute
Nacht nicht dein bestes Stück brichst!«
»Da besteht keine Gefahr«, antwortet
er lachend. »Er steht immer zur Verfügung!«
24
Die Presse spielt verrückt.
Der Halla-Fall ist geplatzt. Keine
Lösung. Kein Mörder. Keine Anhaltspunkte. Eine ratlose Polizei.
Das, was eigentlich als einfacher,
ja eigentlich schon gelöster Fall betrachtet wurde, ist auf einmal kompliziert
und undurchsichtig geworden. Und gefährlich. Nicht zuletzt für die Politiker.
Jetzt, wo Saemi auf einmal aus dem
Spiel ist, muss sich dann nicht die Aufmerksamkeit auf Hallas politische Gefährten
und Kollegen richten? Wo sollte man sonst nach der Ursache des Mordes suchen?
Waren hochgestellte
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