Stella Blomkvist
wirklich?«
»Nein, nein«, sagt sie versöhnlich.
»Es war das Rauschgift, das mich so verändert hat. Du musst mir verzeihen.«
»Was hast du jetzt vor?«, frage ich
nach kurzem Schweigen.
»Ich wollte schon oft aufhören.
Vielleicht schaffe ich es jetzt«, antwortet sie.
»Und was
ist mit Birna?«
»Ich weiß
nicht. Kann ich denn etwas machen?«
»Ansonsten wird sie zu einigen Jahren
Gefängnis verurteilt.«
»Kriegt sie
die nicht sowieso?«
»Das ist
nicht sicher.«
Für eine Weile höre ich nur ihre
schnellen Atemzüge am Telefon. »Ich habe dich heute
Nacht so vermisst«, sagt sie dann.
»Die Sache ist jetzt vorbei.«
»Ach, sei doch nicht so.«
»Wir sprechen da nicht weiter
drüber.«
»Sag das nicht.«
»Doch, es kommt nicht in Frage und
Schluss.«
»Aber du wirst mich doch nicht
anzeigen, oder?«
»Ich habe gestern Abend deine
Vollmacht zerrissen.
Mit deinen Angelegenheiten habe ich
nichts mehr zu tun.«
Sie schweigt einen Moment. »Hat
Ragnar dich heute schon erreicht?«
»Nein. Ich war ja auch unterwegs.«
»Er hat mich am Nachmittag angerufen
und bat mich, dir etwas auszurichten, falls er
dich nicht selber erreichen würde.«
»Also, wie lautet die Nachricht?«
»Er möchte, dass du die Männer
identifizierst, die dich entführt haben.«
»Wann?«
»Sie arbeiten heute Abend auf einem
Neubau in Kópavogur. Er bittet dich, um elf Uhr
dorthin zu kommen.«
»Heute Abend um elf?«
»Ja, heute Abend. Er wird dort sein,
um sie festzunehmen, wenn es die richtigen Männer
sind.« Lilja Rós gibt mir eine Adresse.
»Eigentlich habe ich gar keine Lust,
heute Abend aus dem Haus zu gehen«, sage ich.
»Ragnar hat
gesagt, dass es wichtig sei.«
»Es wäre natürlich klasse, diese
Typen in Handschellen zu sehen.«
Lilja Rós möchte noch mehr erzählen,
aber ich bin nicht in der richtigen Quatschlaune.
»Ich habe
jetzt keine Zeit dafür«, antworte ich. »Kommst du morgen vorbei? Bitte!«
»Ich weiß
noch nicht.«
»Ich muss überlegen, was ich tun
soll. Du musst mir dabei helfen!«
»Okay, dann
bis morgen.«
Ich lege den Hörer auf und sammle
meine Klamotten zusammen. Setze mich aufs Bett und denke scharf nach.
Warum war keine Nachricht von Raggi
auf meinem Anrufbeantworter, als ich nach Hause kam. Hätte er nicht eine
Nachricht aufs Band gesprochen? Wenn er mich schon so dringend heute Abend
treffen will?
Ich hebe den Hörer ab und rufe bei
Raggi zu Hause an. Keine Antwort.
Dann rufe ich bei der Kripo an. »Er
ist unterwegs«, sagt das Telefonfräulein. »Aber er kommt später am Abend noch
mal wieder.«
»Vor elf?«
Sie weiß es
nicht genau.
Ich lege auf und ziehe mich an. Als
es halb elf ist, rufe ich wieder bei der Kripo an.
Er ist
immer noch nicht da.
Ich hinterlasse eine Nachricht und
betone, dass Raggi sie noch vor elf erhalten muss. Egal, was er gerade machte.
Ziehe mir dann Lederjacke und feste
Stiefel an, grabsche mir die Autoschlüssel und meine Aktentasche und gehe hinaus
in den Sommerabend.
30
Das Mehrfamilienhaus scheint
menschenleer zu sein.
Es war nicht schwer, das Haus zu
finden. Drei Stockwerke mit zwei Treppenhäusern. Die Hausnummer steht mit
großen Ziffern auf der Straßenseite. Wurde dort mit Pinsel und Teer
hingekleistert. Das Haus steht als Rohbau. Eigentlich schon mehr als das.
Fenster sind eingesetzt und Wellblech auf dem Dach.
Zwei Autos wurden vor dem Haus
geparkt. Aber nirgendwo in der Nähe des Hauses ist auch nur eine Menschenseele
unterwegs.
Ich warte gelassen im Auto darauf,
dass Raggi sich blicken lässt. Es ist schon nach elf, aber es kommt niemand.
Vielleicht haben sie sich im Haus
versteckt und warten dort? Obwohl ich kein Licht sehe? Könnte sein.
Ich versuche zuerst beim näher
liegenden Treppenhaus, in das Haus zu kommen. Die Tür wurde aus rohen
Holzlatten zusammengenagelt. Sie ist mit einem
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