Sterbelaeuten
gekrümmt, als wollte er ins Telefon kriechen, um besser zu hören. „Wieder die Festplatten. Hm. Ungeheuerlich. Ja. Vielen Dank, dass Sie mir Bescheid gesagt haben.“ Er legte das Handy weg. „Meine Damen und Herren, bitte entschuldigen Sie die Störung. Man hat mir gerade mitgeteilt, dass heute in den frühen Morgenstunden im Rentamt eingebrochen wurde.“
Ein Murmeln breitete sich aus. Alle Pfarrer hatten von dem Einbruch im Dekanat gehört und vor der heutigen Sitzung war dies schon allgemeines Gesprächsthema gewesen.
„Es wurde Büromaterial gestohlen, was aber nicht von großem Wert war, und die Festplatten aller Computer.“
Das Murmeln wurde zu einem Getöse. Der junge Familienvater riss die Augen auf und blickte verstört in die Runde.
„Heißt das, wir kriegen im Dezember kein Gehalt?“, fragte der Kollege aus Neuenhain.
„Weihnachtsgeld habt ihr ja praktischerweise schon gestrichen“, ließ die Köppel verlauten. Sie hatte selbst für ihre Verhältnisse einen schlechten Tag.
„Was ist mit den Nebenkostenabrechnungen fürs Pfarrhaus?“, wollte der Familienvater wissen.
„Beruhigen Sie sich, bitte beruhigen Sie sich!“ Der Dekan machte beschwichtigende Gesten. „Ich bin sicher, es wird kein größeres Chaos geben. Die Daten sind schließlich gesichert, es gibt Sicherungskopien von allem.“
Das Gemurmel wurde leiser, hielt aber an, so dass erst niemand das Klopfen an der Tür hörte. Es klopfte erneut und diesmal sehr energisch.
„Das wird Frau Dr. Müller-Rohr und Stein sein“, sagte der Dekan erleichtert. „Herein, nur herein!“
Die Tür öffnete sich. Henry und Peter warfen sich einen amüsierten Blick zu und wandten sich der eintretenden Referentin zu. Henrys Grinsen erstarrte und sein Mund verharrte in unvorteilhafter, halb geöffneter Stellung. Er hatte kurzgeschorene graue Haare, eine bunte Brille, Strickpulli, Cordhosen mit Schlag und Gesundheitsschuhe erwartet. Die Frau, die eintrat, hatte einen dunklen Pagenschnitt und trug einen gut sitzenden schwarzen Hosenanzug, Stöckelschuhe. Ein Wollmantel hing über ihrem Arm, in der anderen Hand hielt sie eine schlichte Ledertasche.
„Darf ich vorstellen: Frau Dr. Müller-Rohr und Stein, unsere nächste Referentin“, sagte der Dekan. Die Pfarrerinnen und Pfarrer, außer der Köppel aus Bad Soden, klopften höflichen Beifall auf die Tische.
„Bitte, Eva-Maria, du kannst sofort anfangen.“ Der Dekan nahm der Referentin umständlich den Mantel ab und setzte sich auf den verbleibenden freien Stuhl neben dem müden Familienvater.
Frau Müller-Rohr und Stein stellte sich selbstbewusst lächelnd ans Kopfende des Tisches. „Ich freue mich, heute bei Ihnen zu sein. Ich verspreche, Sie nicht zu langweilen, ich weiß, wie viel Sie zu tun haben, vor allem im Advent.“
Henry war wahrscheinlich der Einzige, der der Referentin interessiert zuhörte, obwohl auch er brennend gerne gewusst hätte, was es mit diesen ominösen Einbrüchen bei der Kirchenverwaltung auf sich hatte.
–
Montage brauchte kein Mensch. Alicja fror vom vielen Sitzen bis in die Knochen, als sie am Schwalbacher Bahnhof aus der S-Bahn stieg. Draußen war Schmuddelwetter. Die Uhr zeigte drei Uhr mittags, um vier Uhr morgens war sie in Krakau in den Bus gestiegen, in Frankfurt hatte sie gleich mal eine S-Bahn verpasst, jetzt war sie endlich hier. Gerade Zeit, ihre Sachen in Antonis Wohnung abzustellen und dann musste sie schon zu Familie Bork, eine ihrer alten Putzfamilien, für die sie auch jetzt noch arbeitete.
Müdigkeit lastete auf ihr wie ein nasser Sandsack und das war noch nicht alles. Zuhause war sie darauf bedacht, jeden Gedanken an Heimweh weit von sich zu weisen, um Josef keine Vorlage zu geben. Ihm gegenüber tat sie so, als könnte es für sie kein besseres Leben als dieses geben, damit er nicht wieder anfing, sie zu bearbeiten, dass sie sich eine Arbeit in Krakau suchen sollte. Aber wenn sie ehrlich war, spürte sie eine große Portion Heimweh, das diesen Montag und die ganze Woche wie eine mühsame Ewigkeit erscheinen ließ. Alicja trat aus der Tür des Bahnhofsgebäudes. Vor ihr fuhr gerade ein Linienbus ab und machte die Sicht auf den Vorplatz frei.
Alicja schulterte ihre Reisetasche und wollte sich gerade auf den Weg machen, als ein Mercedes-Sprinter mit grüner Schnauze und polnischem Nummernschild auf den Bahnhofsplatz einbog. Im Führerraum saß eindeutig Pawel, der sie vor einer Stunde in Frankfurt abgesetzt hatte.
„Pawel!“ Alicja rief
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