Sterbelaeuten
flüsterte fast unhörbar: „Geh nach oben.“ Sie deutete mit dem Kopf zur Treppe, die nach oben führte. „Den Klebestreifen!“, flüsterte sie, als Markus sich zur Treppe wenden wollte.
Er klebte ihn wieder auf ihren Mund und kletterte in Windeseile die Treppe hoch. Etwas klapperte und jemand stieg die untere Treppe nach oben. Markus war kaum in der dritten Kammer angekommen, als er hörte, wie jemand sagte: „Ich hoffe, du hast deinen Abschiedsgottesdienst genossen.“
Markus kauerte sich leise auf den Boden und spähte durch eine Ritze zwischen den Bodendielen nach unten. Der Mann, mit dem Torat in der Kirche gestritten und den er „Jakob“ genannt hatte, lehnte die Haushaltsleiter an das Treppengeländer, die Thomas benutzte, um den Weihnachtsbaum in der Kirche zu schmücken. Die hatte wohl gegen das Geländer geschlagen, als dieser Jakob sie die Treppe hochtrug, daher das Klappern. Er beugte sich zu Sibylle hinab und riss den Klebestreifen ab.
„Lassen Sie mich frei!“, bat Sibylle den Mann.
Jakob schüttelte den Kopf. „Geht leider nicht, Fräulein ‚Sie-hören-dann-von-meiner-Versicherung‘ und ‚Ich-geh-zurPolizei‘. Was musstest du auch gestern herkommen, wegen einem verdammten Stollen.“
„Wovon reden Sie? Ich verstehe das nicht.“ Sibylles Stimme klang aufgeregt, verzweifelt.
Jakob hatte plötzlich eine Wäscheleine in der Hand. Er stellte die Leiter auf und begann sie hochzuklettern.
„Was haben Sie vor?“, fragte Sibylle tonlos.
In die Wäscheleine war eine Schlinge geknotet. Markus erschrak, als nur Millimeter neben seinem Bein ein Stück Wäscheleine durch einen Spalt zwischen den Bodendielen auftauchte und von den Fingern einer Männerhand über einen Balken geschoben wurde. Auf der anderen Seite des Balkens streckten sich ebenfalls Finger durch den Spalt zwischen dem Balken und den Dielen und tasteten nach der Leine. Die Wäscheleine war steif und bog sich nicht in Richtung der tastenden Finger, die Hand bekam sie nicht zu fassen. Markus hörte sein Blut in den Ohren rauschen. Wenn der Mann nur nicht hier hochkam. Lautlos und vorsichtig drückte Markus mit einem Zeigefinger die Leine hinunter und schob sie den tastenden Fingern entgegen. Die bekamen sie zu fassen und zogen sie durch den zweiten Spalt nach unten. Der Mann, der Jakob hieß, baute einen Galgen.
„Warum verschwinden Sie nicht einfach und lassen mich am Leben?“, fragte Sibylle leise.
„Zu riskant.“
„Und ein Mord. Der ist nicht riskant?“
„Wer spricht denn von Mord?“, fragte Jakob. „Du warst einfach lebensmüde. Erst der Tod der geliebten Mutter. Dann der Streit wegen dem Erbe. Und schließlich spannt dir die eigene Schwester den geliebten Herrn Kantor aus. Das war einfach zu viel. So eine Künstlerseele ist sensibel.“
„Was reden Sie da für einen Unsinn?“, rief Sibylle. „Ich hatte nichts mit Johannes. Ich mache mir gar nichts aus ihm.“
„Dein Abschiedsbrief wird etwas anderes sagen, Schätzchen“, sagte Jakob und begann, die Klebebänder an ihren Füßen und Händen mit einem Schlüssel aufzureißen.
„Johannes hat gesagt, Sie verlassen beide das Land und heute Abend wird er anonym meiner Schwester sagen, wo ich bin“, machte Sibylle einen weiteren, verzweifelten Versuch.
„Johannes ist ein Idiot“, sagte Jakob. „Der hatte schon in Amorbach nicht den Mumm, der Alten den Rest zu geben, bei der er zur Untermiete gewohnt hat.“
„Haben Sie die Frau getötet?“, fragte Sibylle.
„Sagen wir mal, ich habe ein bisschen nachgeholfen.“ Er rieb sich die Hände. „So, Schätzchen, genug geplaudert!“
Er packte Sibylle um die Taille und zerrte sie die Leiter hoch. Sibylle schrie und zappelte. Die Leiter wackelte gefährlich, aber Jakob brauchte mit seiner Last nur zwei Stufen hochzusteigen. Er zwang die Schlinge um Sibylles Hals, ließ sie los und sprang von der Leiter. Sibylle fiel in die Schlinge und packte gleichzeitig die Wäscheleine oberhalb der Schlinge. Sie zog sich verzweifelt nach oben. Jakob stieß die Leiter weg. Er hielt inne. Wollte er warten, bis Sibylle tot war? Über ihm fing eine Glocke an zu läuten. Er sah verstört Richtung Glocken und dann auf die Uhr. Sibylle röchelte, die Hände immer noch fest an die Leine geklammert. Sie würde bald keine Kraft mehr haben. Jakob sah sich panisch um, schnappte sich die Reste des Klebebandes und rannte dann die Treppe hinunter.
–
Pfarrer Herrmann sah dem Polen, der jetzt leichtfüßig die Straße hochlief,
Weitere Kostenlose Bücher