Sterben: Roman (German Edition)
Die beiden ließen sich scheiden, und Vater zog in eine Stadt in Südostnorwegen, wo er eine Stelle gefunden hatte, die er wenige Monate später wieder verlor, und danach hatte er nichts mehr – keine Ehe, keinen Job und im Grunde auch kein Kind, denn obwohl Unni wollte, dass er Zeit mit seinem Kind verbrachte und ihn tatsächlich mit dem Mädchen zusammen sein ließ, was allerdings nicht besonders gut funktionierte, wurde das Besuchsrecht später aufgehoben, ohne dass ihm dies wirklich etwas ausgemacht hätte. Trotzdem war er völlig außer sich, wahrscheinlich weil er es als sein gutes Recht betrachtete, sein Kind zu sehen, und das, sein Recht, war etwas, worauf er mittlerweile bei allem und jedem pochte. Es passierten fürchterliche Dinge, und das Einzige, was Vater blieb, war seine Wohnung, in der er herumhing und trank, wenn er denn nicht in die Kneipen der Stadt ging und in ihnen herumhing und sich betrank. Dick wie eine Tonne war er, und obwohl seine Haut immer noch so braun war wie früher, war sie doch irgendwie matt geworden, eine matte Membran überzog sie, und mit seinem Bart und den vielen Haaren und den schäbigen Kleidern sah er auf seiner Jagd nach etwas Trinkbarem aus wie eine Art Wilder. Einmal verschwand er urplötzlich und blieb wochenlang wie vom Erdboden verschluckt. Gunnar rief Yngve an und informierte ihn darüber, dass er Vater bei der Polizei als vermisst gemeldet hatte. Schließlich tauchte er in einem Krankenhaus irgendwo in Südostnorwegen auf und konnte nicht mehr gehen. Er blieb allerdings nur vorübergehend gelähmt und kam wieder auf die Beine, und nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in einer Entgiftungsklinik macht er weiter wie zuvor.
In dieser Phase hatte ich keinen Kontakt zu ihm, aber er besuchte Großmutter immer öfter, und jedes Mal länger. Am Ende zog er bei ihr ein und verbarrikadierte sich. Er verstaute die ihm verbliebene Habe in der Garage, warf die Haushaltshilfe hinaus, die Gunnar für Großmutter besorgt hatte, die alleine nicht mehr richtig zurechtkam, und schloss die Tür ab. Er blieb bei ihr in diesem Haus bis zu seinem Tod. Gunnar hatte Yngve angerufen und ihm erzählt, was sich dort abspielte. So war er einmal zu Großmutter gekommen und hatte Vater im Wohnzimmer auf dem Fußboden vorgefunden. Er hatte sich das Bein gebrochen, aber statt Großmutter zu bitten, einen Krankenwagen zu rufen, damit er ins Krankenhaus kam, hatte er sie angewiesen, niemandem etwas zu sagen, auch Gunnar nicht, und da lag er nun, umgeben von Tellern mit Essensresten, Flaschen und Gläsern mit Bier und Schnaps aus seinem prall gefüllten Vorrat, die sie ihm gebracht hatte. Wie lange er dort gelegen hatte, wusste Gunnar nicht, vielleicht einen Tag, vielleicht auch zwei. Wenn er Yngve anrief, um ihm davon zu erzählen, konnte das nur bedeuten, dass wir seiner Meinung nach eingreifen und unseren Vater da herausholen sollten, denn dort würde er sterben, und wir sprachen darüber, beschlossen jedoch, nichts zu unternehmen, er sollte sein Ding durchziehen, sein eigenes Leben leben, seinen eigenen Tod sterben dürfen.
Jetzt hatte er es getan.
Ich stand auf und ging zur Theke, um mir noch eine Tasse Kaffee zu holen. Ein Mann in einem dunklen, eleganten Anzug, mit einem Seidenschal um den Hals und Schuppen auf den Schultern, goss sich Kaffee ein, als ich hinkam. Er stellte die weiße, bis zum Rand mit schwarzem Kaffee gefüllte Tasse auf das rote Tablett und sah mich, die Kanne in seiner Hand leicht anhebend, fragend an.
»Danke, ich nehme mir selbst«, sagte ich.
»Wie Sie wollen«, erwiderte er und stellte die Kanne auf eine der beiden Platten. Ich nahm an, dass er Akademiker war. Die Bedienung, eine breite Frau zwischen fünfzig und sechzig Jahren, mit Sicherheit aus Bergen, denn diese Art von Gesicht hatte ich in den acht Jahren, die ich dort wohnte, überall in der Stadt gesehen, in Bussen und auf den Straßen, hinter Theken und in Geschäften, mit diesen kurz geschnittenen, gefärbten Haaren und den viereckigen Brillen, die nur Frauen ihres Alters schön finden, streckte die Hand aus, als ich die Tasse anhob, um sie ihr zu zeigen.
»Ich nehme mir nur nach«, erklärte ich.
»Fünf Kronen«, sagte sie im singenden Bergener Tonfall. Ich legte ihr eine Fünf-Kronen-Münze in die Hand und kehrte zu meinem Tisch zurück. Mein Mund war wie ausgedörrt, und in meiner Brust pochte das Herz schnell, irgendwie aufgeregt, aber ich war gar nicht aufgeregt, sondern ganz im Gegenteil ruhig und
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