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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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träge, als ich dort saß und das kleine Flugzeug anstarrte, das man unter dem gewaltigen Glasdach aufgehängt hatte, wo das Tageslicht wie in einem Netz hing, und ich schaute zur Anzeigetafel über abgehende Flüge hinüber, auf der es Viertel nach fünf war, und anschließend auf die Menschen hinunter, die sich in Warteschlangen sammelten, durch den Raum gingen, im Sitzen Zeitungen lasen, sich im Stehen unterhielten. Es war Sommer, die Leute trugen helle Kleider, die Körper waren braun, und wie immer an einem Ort, an dem Menschen zusammenkamen, die auf Reisen waren, herrschte eine ausgelassene Stimmung. Wenn ich manchmal so saß, nahm ich die Farben klar, die Linien scharf und die Gesichter unheimlich deutlich wahr. Sie waren voller Bedeutung. Ohne diese Bedeutung, so wie ich sie jetzt erlebte, waren sie fern und in gewisser Weise abgestanden, nicht zu packen, wie Schatten ohne die Dunkelheit von Schatten.
    Ich wandte mich um und schaute zum Gate. Eine Gruppe von Passagieren, die soeben angekommen sein musste, kam die tunnelartige Brücke vom Flugzeug herauf. Die Tür zum Wartebereich öffnete sich, und die Passagiere erschienen mit Jacken über den Armen und Taschen und Tüten, die gegen Schenkel schlugen, hoben die Köpfe auf der Suche nach dem Wegweiser zur Gepäckausgabe, schwenkten nach rechts und verschwanden.
    Zwei Jungen liefen mit Pappbechern vorbei, die mit Cola und Eiswürfeln gefüllt waren. Der eine hatte einen Ansatz von Bartwuchs auf Oberlippe und Kinn und mochte ungefähr fünfzehn sein. Der andere war kleiner, sein Gesicht war vollkommen unbehaart, aber deshalb musste er nicht unbedingt jünger sein. Der größere hatte volle Lippen, die er nicht schloss, und in Kombination mit diesen leeren Augen wirkte er dümmlich. Er sagte etwas, beide lachten, und als sie zum Tisch kamen, schien er seine Bemerkung wiederholt zu haben, denn dann lachten auch die anderen, die bereits dort saßen.
    Ich wunderte mich darüber, wie klein sie waren und dass ich mir offensichtlich nicht vorstellen konnte, mit vierzehn, fünfzehn Jahren genauso klein gewesen zu sein. Aber so muss es gewesen sein.
    Ich schob die Kaffeetasse von mir, stand auf, legte die Jacke über den Arm, griff nach der Tasche und ging zum Gate, setzte mich direkt neben den Schalter, hinter dem eine uniformierte Frau und ein Mann vor Computerbildschirmen standen und arbeiteten. Ich lehnte mich zurück und schloss für einige Sekunden die Augen. Ich sah Vaters Gesicht vor mir, als hätte es dort gelegen und auf mich gewartet. Ein Garten im Nebel, das Gras ein wenig morastig und zertrampelt, eine Leiter an einem Baum, Vaters Gesicht, das sich mir zuwendet. Er hält die Leiter mit den Händen, hat hohe Stiefel und eine dicke Strickjacke an. Neben ihm stehen zwei weiße Bottiche auf der Erde, an einem Haken am oberen Ende der Leiter hängt ein Eimer.
    Ich öffnete die Augen. Ich konnte mich nicht erinnern, das erlebt zu haben, es war keine Erinnerung, aber wenn es keine Erinnerung war, was war es dann?
    Oh nein, er war tot.
    Ich schnappte nach Luft und stand auf. Vor dem Schalter hatte sich eine kleine Schlange gebildet, die Reisenden deuteten jede Bewegung des Personals, und sobald etwas darauf hinwies, dass der Abflug näherrückte, waren sie mit ihren Körpern zur Stelle.
    Tot.
    Ich stellte mich hinter den hintersten, einen Mann mit breiten Schultern, der einen halben Kopf kleiner war als ich. In seinem Nacken und in den Ohren wuchsen Haare. Er roch nach After Shave. Eine Frau stellte sich hinter mich. Ich drehte den Kopf ein wenig, um einen kurzen Blick auf sie zu werfen, und sah ihr Gesicht, das mit seinem akribisch aufgelegten Lippenstift und Rouge und Eyeliner und Puder eher einer Maske als einem Menschen glich. Aber sie roch gut.
    Jetzt kam das Reinigungspersonal im Laufschritt die Brücke vom Flugzeug herauf. Die uniformierte Frau telefonierte. Als sie aufgelegt hatte, erklärte sie, die Maschine sei nun zum Einsteigen bereit. Ich holte das Ticket heraus. Mein Herz schlug wieder schneller, als wäre es auf eigene Faust unterwegs. Es wurde schier unerträglich, dort zu stehen. Aber ich hatte keine Wahl. Ich verlagerte mein Gewicht von einem Bein aufs andere, schob den Kopf ein wenig vor, so dass ich die Startbahn vor dem Fenster sehen konnte. Eines dieser kleinen Fahrzeuge, die Gepäckwagen zogen, fuhr vorbei. Ein Mann in einem Overall und mit Kopfhörern entfernte sich, er hielt diese wie Tischtennisschläger aussehenden Dinger in der Hand, mit

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