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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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sagte sein Vater, als wir uns ins Auto setzten. »War es schön?«
    »Oh ja«, antwortete ich. »Um zwölf waren viele Leute unterwegs. Ein ziemliches Spektakel. Wie war es denn oben in Tveit?«
    »Ruhig und still«, sagte er, legte den Arm hinter die Rückenlehne meines Sitzes und drehte den Oberkörper halb, um zurückzusetzen. »Bei wem wart ihr eigentlich?«
    »Bei einem, den Øyvind kennt. Sie wissen schon, der Typ, der in unserer Band Schlagzeug spielt.«
    »Ja, ja«, sagte Jan Vidars Vater, schaltete und begann, den Weg zurückzufahren, den er gekommen war. In manchen Gärten war der Schnee gefleckt von Feuerwerkskörpern. Vereinzelt gingen Paare die Straße hinab. Das eine oder andere Taxi fuhr vorbei. Ansonsten war alles ruhig. In einem Auto durch die Dunkelheit zu gleiten, mit den leuchtenden Instrumenten, neben einem Mann, dessen Bewegungen sicher und ruhig wirkten, hatte mir schon immer sehr gefallen. Jan Vidars Vater war ein guter Mann. Er war freundlich und interessiert, ließ uns aber auch in Ruhe, wenn Jan Vidar ihm zu verstehen gab, dass es genug war. Er nahm uns auf Angelausflüge mit, er regelte Dinge für uns – als ich einmal auf dem Weg zu ihnen einen Platten hatte, hatte er beispielsweise den Schlauch geflickt, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Als ich wieder nach Hause wollte, war das Rad fahrbereit – und wenn die Familie gemeinsam Urlaub machte, luden sie mich immer ein. Er erkundigte sich genau wie Jan Vidars Mutter nach meinen Eltern, und wenn er mich nach Haus fuhr, was des Öfteren vorkam, wechselte er immer ein paar Worte mit Mutter oder Vater, falls sie in der Nähe waren, und lud sie zu sich ein. Dass sie niemals kamen, lag nicht an ihm. Aber er konnte auch aufbrausend sein, das wusste ich, auch wenn ich es nie mit eigenen Augen gesehen hatte, und unter allen Gefühlen, die Jan Vidar für ihn empfand, war auch Hass.
    »Jetzt haben wir also 1985«, sagte ich, als wir an der Varodd-Brücke auf die E 18 fuhren.
    »Tja, allerdings«, erwiderte Jan Vidars Vater. »Oder was meinst du da hinten?«
    Jan Vidar sagte nichts. Auch als sein Vater aus dem Wagen stieg, war er stumm geblieben. Er hatte nur starr geradeaus geblickt und sich sofort hingesetzt. Ich drehte mich um und sah ihn an. Sein Kopf bewegte sich nicht, und seine Augen waren auf einen Punkt in der Nackenstütze gerichtet.
    »Hat es dir die Sprache verschlagen?«, sagte sein Vater und grinste mich an.
    Hinten blieb es weiter vollkommen still.
    »Was ist mit deinen Eltern«, sagte sein Vater. »Sind sie heute Abend zu Hause geblieben?«
    Ich nickte.
    »Meine Großeltern und mein Onkel sind zu Besuch gekommen. Stockfisch und Aquavit.«
    »Bist du froh, dass du nicht da warst?«
    »Ja.«
    Wir bogen auf die Straße nach Kjevik, fuhren an Hamresanden vorbei, Richtung Ryen. Dunkel, ruhig, warm und gut. So könnte ich mein ganzes Leben sitzen, dachte ich. An ihrem Haus vorbei, in die Kurven nach Krageboen hinauf, hinunter zur Brücke auf der anderen Seite, den Hang hinauf. Er war nicht geräumt worden und von einer ungefähr fünf Zentimeter dicken Pulverschneeschicht bedeckt. Jan Vidars Vater fuhr dieses letzte Stück langsamer. An dem Haus vorbei, in dem Susann und Elise wohnten, die beiden Schwestern, die aus Kanada hierher gezogen waren und auf die sich keiner einen Reim machen konnte, an der Kurve vorbei, in der William wohnte, den Hügel hinunter, das letzte Stück hinauf.
    »Ich setze dich hier ab«, sagte er. »Dann wecken wir sie nicht, falls sie schon schlafen. Okay?«
    »Okay«, sagte ich. »Und vielen Dank fürs Mitnehmen. Mach’s gut, Jevis!«
    Jan Vidar blinzelte, riss dann die Augen jäh auf.
    »Ja, mach’s gut«, sagte er.
    »Willst du vorne sitzen?«, erkundigte sich sein Vater.
    »Das lohnt sich nicht«, sagte Jan Vidar. Ich schlug die Tür zu, hob die Hand zum Gruß und hörte das Auto hinter mir wenden, als ich den Weg zu unserem Haus hinaufging. »Jevis«! Warum hatte ich das gesagt? Diesen Spitznamen, der eine freundschaftliche Verbindung signalisierte, die ich nicht signalisieren musste, da wir ja Freunde waren, hatte ich nie zuvor benutzt.
    Die Fenster in unserem Haus waren dunkel. Also waren sie ins Bett gegangen. Das freute mich, nicht, weil ich etwas zu verbergen gehabt hätte, sondern weil ich meine Ruhe haben wollte. Nachdem ich die Jacke im Flur aufgehängt hatte, ging ich ins Wohnzimmer. Alle Spuren der Silvesterfeier waren weggeräumt worden. In der Küche brummte leise die Spülmaschine. Ich

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